Der Lockvogel
essen? Ich habe Hunger.«
Lock ging zum Fenster und schaute hinaus, wobei er einen halben Meter vor der Scheibe stehen blieb und sich zurücklehnte. Er drehte sich zu Webster um. »Ich würde gerne hier reden, wenn es geht. Es war … ich fühle mich nicht besonders sicher.«
»Warum nicht?«
Lock erzählte ihm von den vier Haaren und dem Mann mit der Mütze. Webster behielt seinen Gesichtsausdruck bei, spürte aber einen Stich der Unruhe: Entweder fing Lock an, sich Dinge einzubilden, oder es gab tatsächlich Grund zur Besorgnis. Die Schwierigkeit für ihn lag darin, dass er beide Möglichkeiten naheliegend fand.
»Vielleicht war es das Zimmermädchen.«
»Das Zimmer war nicht gemacht. Ich hatte das Nichtstören-Schild draußen.«
»Dann sollten wir uns nicht hier unterhalten. Falls Sie recht haben.«
Lock brauchte einen Moment, um ihn zu verstehen. »Scheiße. Ja. Natürlich. Mein Gott, ich hasse diese Sache. Ich weiß nicht, wie Sie diesen ganzen Mist ertragen.«
Webster lächelte, aber es war klar, dass Lock nicht scherzte.
In einem elsässischen Restaurant in Berlin Mitte saßen sie auf Holzstühlen an einem einfachen Holztisch und bestellten Essen. Lock trank Bier, Webster Wasser. Sie hatten einen Tisch im hinteren Bereich des langen, schmalen Raums gewählt, Webster mit Blick zur Tür, damit er Lock beruhigen konnte, dass keine finsteren Gestalten den Raum betraten. Auf dem Weg hatte Webster auf mögliche Verfolger geachtet und niemanden entdeckt.
Lock war unruhig, er aß nichts. Webster befragte ihn darüber, was er seit London gemacht hatte: War er dem Plan gefolgt? War er von Rotterdam aus direkt hierhergefahren? Wo hatte er zwischendurch angehalten? Was hatte er unternommen, seit er hier war? Als Lock an den Punkt kam, wo er Nina kontaktiert hatte, glaubte Webster zu verstehen. Entweder wurde ihre Wohnung überwacht und man war ihm gefolgt, als er den Brief eingeworfen hatte, oder jemand hörte ihr Telefon ab. Zog man das Timing in Betracht, war es wahrscheinlich Letzteres, aber es war egal. Möglicherweise überwachten sie auch Marinas Anschluss. Er sagte Lock nicht, was er dachte.
»Und seit Nina?«
»Seit dem Anruf? Ich habe mir diese Schuhe gekauft. Nicht weit von hier. Dann bin ich ausgegangen und habe zu Abend gegessen – und unterwegs zum Hotel fiel mir der Mann mit der schwarzen Mütze auf. Ich habe getan, was Sie gesagt haben, aber er ist mir nicht gefolgt, jedenfalls nicht so, dass ich es sehen konnte. Dann bin ich zurück ins Hotel gegangen.«
»Und dort blieben Sie bis wann?«
»Bis heute Morgen. Ich bin etwa um sieben rausgegangen, um zu frühstücken. Ich hatte schlecht geschlafen. Und als ich wiederkam, gegen elf, waren die Haare nicht mehr da. Dann habe ich Malin angerufen.«
»Sie haben Malin angerufen?« Webster hatte Mühe, die Fassungslosigkeit aus seiner Stimme zu halten.
»Ja.«
»Warum in aller … warum? Ich verstehe das nicht.« Also wusste Malin jetzt, dass Lock in Berlin war. Aber das erklärte nicht, dass er verfolgt wurde, wenn das wirklich stimmte.
»Ich habe nicht darüber nachgedacht. Ich wollte ihm einfach sagen, er soll mich in Ruhe lassen.«
»Und haben Sie es gesagt?«
»Ja.«
»Wie hat er reagiert?«
»Er hat versucht, mich davon zu überzeugen, dass ich in Moskau sicher wäre. Dass … dass in einem Jahr das alles hier vergessen sein würde.«
»Was halten Sie davon?«
»Ich will Moskau nicht mehr sehen. Und ich glaube ihm nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich die Grenze überschritten habe.« Lock sah entrückt aus, fast neugierig, als stellte er sich die Grenze irgendwo hinter sich bildlich vor und fragte sich, warum er sie bisher nicht gesehen hatte.
»Womit haben Sie ihn angerufen?«
»Damit.« Lock deutete auf sein zerlegtes Telefon auf dem Tisch.
»Nun, das können wir wegwerfen. Und wenn er Ihnen bisher nicht gefolgt ist, wird er das jetzt tun.« Webster saß einen Moment da und brütete. »Erzählen Sie mir von Nina.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Sie hat mir gesagt, dass ich abhauen soll. Freundlich, aber deutlich.«
»Wie gut kennen Sie sie?«
»Ich habe dreimal mit ihr gegessen. Ich glaube, es waren drei Male. Wir kamen miteinander aus, allerdings würde ich nicht sagen, dass wir einander verbunden sind.«
»Alles, bevor Gerstman Malin verließ?«
»Ja.«
»Also sieht sie Sie als Malins Mann?«
»Das tut sie. Ganz sicher.«
Webster nahm einen Schluck Wasser und versuchte zu entscheiden, wie er Nina dazu
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