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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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die Augen zusammenzukneifen. Die weißen Wände waren mit schwarzen Flecken übersät, stellenweise zeigte sich durch die abblätternde Farbe der Verputz; der Boden war wie in einem Krankenhaus mit großen Linoleumplatten gefliest. Die Männer führten den stolpernden Lock in das Gebäude, seine Füße versuchten Schritt zu halten, hüpften aber nur unbeholfen zwischen ihnen her. Sie passierten zwei dunkelgraue Türen mit kleinen Milchglasfenstern und blieben vor zwei Aufzügen stehen, die sich auf beiden Seiten des Korridors gegenüberlagen. Der kleinere Mann drückte den Knopf, um einen der Aufzüge herbeizurufen. Neben den Aufzügen standen zwei große Metallcontainer auf Rollen, in denen Lock ein weißes Gewirr von Bettwäsche sah, das ihn an zerknülltes Papier erinnerte. Es roch leicht nach Waschpulver und Dampf, was in Lock das Bedürfnis weckte, sich in einem warmen Zuhause in ein sauberes Bett zu legen. Er spürte, wie sein Kopf hin und her schwankte, als ob er mit dem Schlaf kämpfte.
    Die Aufzugstür öffnete sich mit einem leisen Quietschen. Lock wurde hineingeschoben und gegen eine Metallwand gelehnt, worauf der große Mann endlich seinen Arm wegnahm. Er spürte, wie sich der Aufzug mit einem kleinen Ruck in Bewegung setzte, und vermutete, dass es nach oben ging. Der kleinere Mann holte ein Papiertaschentuch aus der Tasche, schaute an Lock hinauf und tupfte Reste von Erbrochenem von Kinn und Mantelkragen, wie eine Mutter, die ihr Kind säubert. Lock beobachtete ihn mit einem verwirrten,
hilflosen Stirnrunzeln. Der Mann war blass, seine beinahe durchscheinende Haut zeigte deutlich die Form des darunterliegenden Schädels. Seine Augen waren milchig, die Iris darin von einem hellen Grau. Strohblonde Haare schauten unter seiner Mütze hervor. Er sah bösartig aus, aber weniger stark als sein Freund.
    Der Aufzug zuckelte nach oben. Vierter Stock, fünfter Stock. Im sechsten, dem obersten Stockwerk, hielt er schließlich an. Der kleine Mann ergriff Locks Arm, um ihn von der Wand wegzuziehen, und die Tür glitt langsam auf. Vor dem gegenüberliegenden Aufzug stand ein Zimmermädchen in rosafarbenem Hauskleid mit weißer Haube und bemühte sich, einen Wagen, der hoch mit Toilettenpapier, Duschhauben und Hausschuhen in durchsichtigen Plastikverpackungen beladen war, aus der Kabine zu ziehen. Sie hatte Lock und den beiden Russen den Rücken zugewandt, und die Männer waren gezwungen zu warten. Als sie ihren Wagen in den Korridor gezogen hatte, drehte sie sich um, sah die drei Männer und fing an zu lächeln, bevor sie bemerkte, dass irgendetwas an ihnen nicht stimmte. Der kleine Mann hatte Lock untergehakt, der größere stand direkt hinter ihnen, bereit, Lock aus dem Aufzug zu schieben. Das Zimmermädchen schaute Lock an, als erwarte sie eine Erklärung. In diesem Moment entwand er seinen Arm dem Griff des kleinen Mannes und fiel mehr als dass er sprang in Richtung des Wagens, der nun den Korridor blockierte. Er krachte mit der Schulter dagegen, wirbelte ihn herum und verstreute Kugelschreiber und winzige Shampooflaschen über den Boden. Er rammte das kurze Ende des Wagens gegen den kleinen Mann, der rückwärts strauchelte und die Balance verlor, und torkelte in den anderen Aufzug, krallte sich an
der Tür fest, die bereits angefangen hatte, sich zu schließen, und drückte wild auf die Knöpfe der Steuerung. Er sah, wie der große Mann versuchte, an dem Zimmermädchen vorbeizukommen; als sie sich bückte, um ihre Sachen aufzuheben, stolperte er über ihren Rücken. Das Letzte, was Lock durch den sich schließenden Türschlitz sah, war die ausgestreckte Hand des Mannes, die keinen Halt fand.
    Im Aufzug war es still. Mit einem sanften Ruck begann er seinen Abstieg. Lock lehnte sich gegen die Wand, das Metall kalt an seiner Schläfe. Seine Übelkeit hatte nachgelassen, aber sein Kopf pochte heftig. Das war es also, was mit Dmitri geschehen war. Möglicherweise war er gar nicht bei Bewusstsein gewesen, als er starb. Vielleicht hatte er es nicht mitbekommen.
    Der Aufzug hielt an. Vierter Stock. In seiner Panik hatte Lock den falschen Knopf gedrückt. Als die Tür sich öffnete, drückte er hektisch auf den Knopf für das Erdgeschoss, dann auf den Knopf, der die Tür schloss. Er zeigte keine Wirkung. Erst nach einiger Zeit glitt die Tür gemächlich zu. Lock hatte den Eindruck, über sich das metallische Klappern zu hören, mit dem jemand immer drei Treppenstufen auf einmal nahm. Als die Tür sich schloss, war das

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