Der Lockvogel
mehr wie Richard Lock. In dem Gestank konnte er Gin ausmachen. Er stützte sich mit den Ellbogen ab und schaute an seinem Körper hinunter. Er erkannte seinen Mantel, seine neuen Schuhe. Er war es wirklich. Derselbe Lock.
Vor dem Fenster flog eine Stadt vorbei. Er versuchte, etwas davon mitzubekommen, ein Geschäft, ein Straßenschild, aber das Auto war zu schnell und seine Augen zu langsam, sie sprangen von Punkt zu Punkt. Es war eindeutig eine Stadt: Die Gebäude waren hoch und die Straßen so breit, dass die Gebäude manchmal aus seinem Sichtfeld verschwanden. Wenn sich die Fahrt verlangsamte, konnte er andere Autos hören, Reifen auf nassem Asphalt, Motoren, die durch die Gänge schalteten.
Sein ganzer Kopf schmerzte, von der Stirn bis in den Nacken. Er spürte, wie die Form seines Schädels den Schmerz
umschloss, und er versuchte, durch den Schmerz hindurch zu denken. Er erinnerte sich, dass er in dem Taxi gesessen hatte, zusammen mit Webster, dass er vor ihm auf der vereisten Straße gegangen war und gesehen hatte, wie Webster fiel. Dann nichts mehr, nur Leere. Das vage Bild einer nackten Glühbirne, die an ihrer Leitung hing, sonst nichts.
Er musste wissen, wo er war. Er quälte sich etwas weiter nach oben. Jetzt lehnte sein Kopf an der Autotür. Er schloss einen Moment lang die Augen und wurde wieder ohnmächtig.
Menschen huschten durch seine Träume in fieberhafter, chaotischer Prozession. Niemand blieb lange. Er hörte ihr Plappern, verstand aber nicht, was sie sagten, selbst wenn sie zu ihm sprachen. Einige Bilder blieben hängen: Marina, die ihm den Rücken zuwandte, während sie auf einer klappernden Schreibmaschine eine Nachricht tippte, die er nicht lesen konnte; Oksana, die im Meer schwamm und ihn zu sich winkte; ein riesiger, aufgeblasener Malin, der grotesk hinter einem winzigen Schreibtisch saß; Vika am Strand, die aus einer Plastikgießkanne Wasser in den Sand laufen ließ. Sobald er die Hand ausstreckte, wechselte sofort die Szene: Dieser Anwalt, Beresford, führte ihn in einer Massenpanik auf irgendeiner namenlosen Moskauer Straße gegen den Strom der Menschen; Webster hielt ihm ein dickes schwarzes Haar hin, als wäre es ein Stück Wolle, das er sich anschauen sollte.
Als er zu sich kam, hätte er nicht sagen können, ob Zeit vergangen war, geschweige denn, wie viel. Er lag still, das Auto stand still. Die Tür hinter ihm öffnete sich, und sein Kopf fiel hinaus. Er spürte Hände an seinem Mantelkragen,
die ihn herauszogen und aufrichteten, und dann war er auf den Füßen, stand auf Beinen, die ihm nicht recht gehorchen wollten. Die eisige Nachtluft belebte ihn, und als er den Kopf hob, sah er, dass zwei Männer bei ihm waren, ein kleiner und ein großer. Beide trugen lange Mäntel und schwarze Mützen. Hinter ihm verschloss sich das Auto mit einem leisen Piep. Der größere der Männer legte den Arm um seine Schultern, und zusammen gingen sie einen vereisten Bürgersteig entlang. Der Mann war trittsicher; Lock wusste, er würde nicht ausrutschen.
Zum ersten Mal sah Lock sich um. Die Straße war breit, dunkel, leer. Er spürte den Schnee, der sanft auf seiner Nase und seinen Wangen landete. Ein einzelnes Auto fuhr vorbei. Vor ihnen kreuzte eine hellere Straße, er sah Verkehr und Bäume, die von den Straßenlampen gelb erleuchtet wurden. Der kleinere Mann sagte leise etwas auf Russisch: Halte ihn aufrecht. Wenn es ihnen nichts ausmacht, vor mir Russisch zu reden, dachte Lock durch den dicken Nebel in seinem Kopf, dann soll ich das hier nicht überleben.
Er versuchte, sich aus der Umklammerung zu winden, seine Schultern zu befreien und wegzulaufen, aber seine Füße fanden keinen Halt auf dem Eis, und der Mann hielt ihn einfach hoch, sein kräftiger Arm hinderte ihn am Fallen. Der Kleinere, der ein Stück vorausging, drehte sich um und warf dem anderen einen angespannten Blick zu.
Zwanzig Meter vom Auto entfernt blieb der kleinere Mann vor einer großen zweiflügeligen Tür aus Metall stehen, die in einer Nische etwas zurückgesetzt von der Straße in die Wand eingelassen war. Lock schaute noch rechtzeitig hoch, um ein gewaltiges Gebäude über sich zu erkennen, mehrere Stockwerke hoch und so lang wie der ganze Block.
Dann spürte er den starken Arm um sich, der ihn heranzog. Der kleinere Mann drückte mit behandschuhter Hand vier Zahlen auf einem Tastenfeld, und die Tür öffnete sich.
Das plötzliche grelle Licht, das vor ihm einen niedrigen, langen Korridor erhellte, zwang Lock,
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