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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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wäre klüger gewesen, sie zu Hause zu beseitigen, weil sie dort am wenigsten sicher und er selbst am besten geschützt war.
    Doch diese Geschichte war anders. Hier standen so viele Dinge auf dem Spiel, und es gab ohnehin schon so viele seltsame Aspekte, dass dieses Ende definitiv eine Anomalie bedeutete. Webster stellte sich Malin zu Beginn seines großen Projekts vor: der geduldige Loyalist, für den nationaler Ruhm und unerhörter Profit in greifbare Nähe gerückt waren und der von einer jungen Frau bedroht wurde, die so viel mehr wusste, als sie wissen durfte. Vielleicht hatte es für ihn einen Sinn ergeben. Webster fühlte, wie sich die unsichtbaren Teile des Puzzles in seinem Unterbewusstsein neu ordneten, an ihren Platz fielen und ihn mit der Verheißung lockten, dass dies, endlich, das Wissen war, nach dem er seit zehn Jahren dürstete.

    Es war natürlich nichts Ungewöhnliches, eine Theorie zu haben. Er hatte schon früher Theorien gehabt, die sich jedoch nie erhärten ließen. Das Wichtige bei einer Theorie war, sie ruhen zu lassen, ihren Verlockungen zu widerstehen, sie leise zu befragen und zu sehen, ob sie standhielt.
    Doch er mochte jetzt nicht diszipliniert sein, sondern rief umgehend Steve Elder an seinem neuen Arbeitsplatz an und
stellte fest, dass dieser gerne mit ihm reden wollte. Elder war tatsächlich in Moskau gewesen: als freier Korrespondent für die New York Times von 1993 bis 1994; sie hatten sich einmal bei einem Empfang der britischen Botschaft getroffen. Er konnte sich sowohl an den Artikel als auch an Inessa erinnern, obwohl er sie nie persönlich getroffen hatte. Sie hatte ihm den Artikel geschickt, halb fertig, als erste Folge einer Serie über die neue Politik der wiedererstarkenden russischen Energieindustrie. Eine Spezialistin für Energiefragen war sie nicht gewesen, aber er kannte ihre Arbeit, und ihm gefiel diese Story; die Ölpreise fingen nach der Krise des Vorjahrs wieder an zu steigen, und jeder wollte wissen, wie Russland seine Energiepolitik gestalten würde – und abgesehen davon war die Sache »pikant«. Er hatte nur für den ersten Artikel mit dem üblichen Satz bezahlt, aber versprochen, sich die nachfolgenden anzuschauen, sobald Inessa genauer wusste, wovon diese handeln sollten; zu der Zeit schien ihr das noch nicht ganz klar gewesen zu sein.
    Der Artikel erschien im Spätsommer. Als er vielleicht zwei Monate später von ihrem Tod las, hatte er eine Notiz an die Nowaja Gaseta geschickt. Seine Frau hatte bemerkt, dass es eigentlich komisch sei, dass sie die erste ihm bekannte Journalistin war, die ums Leben kam. Es starben so viele.
    Nein, es war ihm nicht merkwürdig vorgekommen, dass sie ihm den Artikel zugeschickt hatte. Selbst damals, in den Anfangstagen der Zeitschrift, hatten ihm alle möglichen Leute Ideen und Storys zugeschickt. Ob irgendjemand eine Verbindung zwischen dem Artikel und ihrem Tod vermutet hatte? Nein, niemand. Elder hatte immer angenommen, es sei einer der kleineren Oligarchen gewesen, die sie so oft geärgert hatte. Und nein, es war ihm nie aufgefallen, dass
der Artikel nicht ausreichend mit Quellenbelegen versehen worden war. Im Gegenteil, er hatte es ganz anders in Erinnerung.
    An dieser Stelle war die Unterhaltung mehr oder weniger beendet gewesen, Elder wurde ein wenig empfindlich, und Webster war überzeugt davon, dass hier nicht mehr zu erfahren war.
    Seine Theorie würde sich einfach erst einmal setzen müssen. In der Zwischenzeit hatte er seinen Fall, und was das betraf, hatten ihm Alan Knight und Inessa das Gefühl gegeben, gleichzeitig viel mehr und viel weniger zu wissen als zuvor; als hätte er nach dem Weg gefragt und man hätte ihm den kompletten geschichtlichen Hintergrund seines Zielortes erklärt. Das Einzige, bei dem er ansetzen konnte, war das, was ihm Knight über Dmitri Gerstman erzählt hatte. Jeder Privatdetektiv liebte verärgerte Ex-Angestellte, und Gerstman war obendrein noch geheimnisvoll. Normalerweise passierte es nicht, dass jemand eine Organisation wie die Malins einfach so und ohne Konflikt verließ. Sie blieben oder wurden gefeuert, oder es gab Streit.
    Was Webster nachdenklich stimmte, war, dass er nichts über diesen Mann wusste. Ein paar Dinge standen in dem Bericht, den Tourna ihm gegeben hatte, doch er entdeckte, dass diese Informationen der Website von Gerstmans neuem Unternehmen entnommen waren. Dort fand er immerhin auch ein Foto von ihm, sogar ein verhältnismäßig gutes in Schwarz-Weiß. Darauf sah

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