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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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er gepflegt, diszipliniert und ein wenig streng aus, aber nicht verfolgt, dachte Webster. Vermutlich Mitte dreißig. Einer der jungen russischen Technokraten, die mit Profitmargen und Geschäftsmodellen groß geworden waren anstatt mit strenger Zentralwirtschaft.
Sein neues Unternehmen, Finist Advisory Services PartG, bot strategische Beratung für Energie- und Petrochemiefirmen an. Ihm war nicht ganz klar, was das bedeutete, doch es schien sich vor allem auf Mitteleuropa zu konzentrieren. Gerstman hatte einen Partner namens Prock und ein elegantes Büro in der Nähe des Kurfürstendamms in Berlin.
    Webster hätte es vorgezogen, einen freundlichen Journalisten auf ihn anzusetzen, um ihm einen Hinweis zu entlocken, der vielleicht auf magische Weise enthüllen würde, was ihn antrieb. Gerstman war so kostbar – ihr einziger wirklicher Ansatzpunkt –, dass sie vielleicht nur eine Chance hatten, ihn für sich zu gewinnen. Hammer hielt das für Zeitverschwendung und eine Beleidigung Gerstmans. »Er verdient nicht irgendeinen Botenjungen, sondern Sie. Was können wir denn schon herausfinden? Wir wissen, dass er Malin nicht mag. Wir wissen, dass er Ihnen nicht sofort etwas sagen wird. Doch im Lauf der Zeit wird er es vielleicht tun, und vielleicht wird er mit Lock reden. Und es ist etwas, das wir Tourna sagen können. Sie müssen eine Beziehung zu ihm aufbauen. Besser, Sie fangen gleich damit an.«

    In Berlin war es warm für Oktober, doch Webster, von der Wettervorhersage genarrt, hatte einen Mantel mitgebracht, der ihn jetzt nervte. Je mehr man bei sich trug, umso lästiger wurde das Reisen. Für eine einzige Übernachtung nahm er normalerweise seinen Aktenkoffer mit sich, der ein frisches Hemd, frische Unterwäsche, einen Rasierer und eine Zahnbürste, Notizbuch, Stift und etwas nicht zu Schweres zum Lesen enthielt; und niemals, wenn er es vermeiden konnte, einen Laptop. Er fühlte sich leichter und zielbewusster, agiler, wenn er ohne einen Koffer, den man herumkutschieren
musste wie ein hilfloses Familienmitglied, durch den Flughafen gleiten konnte. Heute fühlte er sich durch den Mantel beschwert.
    Egal. Er würde direkt ins Hotel gehen. Es war ungewöhnlich, dass er nur ein Meeting in Berlin hatte, und auch dieses war noch nicht arrangiert. Durch eine kleine List hatte er von Gerstmans Sekretärin erfahren, dass dieser bis Freitag in Berlin und danach für mehrere Wochen unterwegs sein würde. Heute war Donnerstag. Er hatte sich bemüht, einen gemeinsamen Bekannten zu finden, der ihm den Weg zu Gerstman hätte ebnen können, doch ohne Erfolg. Also war er nun planlos angekommen, mit der einzigen Hoffnung, dass es Gerstmann schwerer fallen würde, ein Treffen auszuschlagen, wenn der Besuch schon einmal in Berlin war.
    Webster kannte die Stadt nicht – er war erst einmal zuvor hier gewesen und das für ein Meeting auf dem Flughafen mit einem Klienten aus Ecuador –, und auch jetzt nahm er sie nicht wirklich in sich auf. Seine Gedanken waren mit dem beschäftigt, was er von Gerstman wollte. Malins Schwächen sehen, Lock verstehen, Knights Theorie überprüfen. Idealerweise die Spur finden, die Tournas Vorwurf der massiven Korruption erhärten würde. Während der Gedanke durch seinen Kopf ging, wusste er, wie lächerlich es war, so viel zu erwarten. Vielleicht hatte der wahre Wert des Gesprächs mit Knight darin gelegen, ihm die Hoffnung zu rauben. Er warf sich vor, nicht früh genug den einzigen Einwand gegen diesen Auftrag erkannt zu haben, der wirklich zählte: nämlich, dass er unmöglich war. Es schien lachhaft, sich einzubilden, er und Hammer und ein zusammengewürfelter Haufen von abgehalfterten Spionen und verkrachten Journalisten könnten für einen Mann wie Malin irgendeine
Bedrohung darstellen. Sie waren nichts weiter als ein Instrument für Tournas Eitelkeit und dabei selbst eitel genug.
    Trotzdem würde er es versuchen. Man wusste ja nie. Wenn Gerstman einen alten Groll hegte und die Gelegenheit sah, Rache zu nehmen – man wusste wirklich nie. So etwas kam vor. Was ein Mann weiß, kann einen ganzen Konzern stürzen. Das gab es immer wieder.
    Es war Mittag, als sein Taxi sich dem westlichen Stadtzentrum näherte. Er beschloss, zunächst sein Zielobjekt in Augenschein zu nehmen und erst später im Hotel einzuchecken, also bat er den Fahrer, ihn zum Kurfürstendamm zu bringen, wo Gerstmann in einer Seitenstraße sein Büro hatte, nahe dem Theater am Kurfürstendamm. Webster bezahlte den Taxifahrer und

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