Der Lockvogel
Cocktail aufgetrieben, stand trotzig alleine herum und beobachtete, wie Katerina und Beresford im Raum umhergingen und die Samoware begutachteten.
»Richard, wie lange müssen wir noch bleiben? Ich fühle mich albern hier.« Wie immer klang Oksana vollkommen vernünftig; Lock bezweifelte, dass er an ihrer Stelle so maßvoll gewesen wäre.
»Ganz deiner Meinung«, sagte er, gab einer Kellnerin seine Tasse und schlug das Angebot aus, sich eine neue zu nehmen. »Lass uns eine Stunde nach oben gehen und dann zurückkehren. Wir müssen auch nicht lange bleiben. Ich muss nur Sergej sehen, das ist alles. Und sicherstellen, dass er mich gesehen hat. Komm.«
Er stellte Oksanas Teetasse auf den nächstbesten Tisch, und sie gingen zur Tür. Die Party hatte sich inzwischen etwas belebt. Die Leute standen in Grüppchen zusammen, das Geräusch ihrer Gespräche fing an, die Musik der Band zu übertönen. Ein Sicherheitsmann hielt ihnen die Tür des Ballsaals auf, und sie schritten durch die Lobby in Richtung der Aufzüge.
»Sind sie das?«, fragte Oksana. Durch die Glasfassade der Lobby konnte Lock einen schwarzen Mercedes vor dem Hotel vorfahren sehen. Vier Männer in schwarzen Anzügen und schwarzen Hemden stiegen gleichzeitig aus. Einen Augenblick später hielt ein silberner BMW hinter dem ersten Auto, gefolgt von einem Konvoi diskreter Limousinen aus deutscher Herstellung. Drei der schwarz gekleideten Männer
öffneten die Türen des BMWs, und ein Mann, eine Frau und ein kleines Mädchen stiegen aus. Das Mädchen trug ein Diadem und ein Kleid aus brombeer- und fliederfarbenem Taft.
»Scheiße. Ja, das sind sie.«
»Sie sieht süß aus«, sagte Oksana und starrte die kleine Familie an, als sie das Hyatt betrat. Maria Sergejewna wurde von ihren Eltern flankiert, einer hübschen, rundlichen Frau und einem auffallend hässlichen Mann: Sein Mund, der immer offen stand, sah aus, als sei er ein wenig zur Seite gerutscht, und dahinter blitzten kleine scharfe Zähne hervor. Sergej Galinin wurde hinter seinem Rücken »Baba Jaga« genannt, nach der hässlichen bösen Hexe aus den russischen Märchen. Sein Haar war dunkelgrau mit breiten silbergrauen und weißen Streifen wie bei einem Luchs. Ihm gehörte ein Unternehmen, das Ölförderanlagen herstellte, und er war ein berüchtigter Schürzenjäger.
»Ohne das Diadem ist sie es wahrscheinlich auch«, sagte Lock auf Englisch und steuerte Oksana hastig wieder zurück auf die Party.
Maria und ihre Eltern blieben in der Lobby stehen, während ihre Festgäste sich in den Ballsaal begaben. Galinin gehörte nicht der ersten Liga der russischen Wirtschaft an, doch sein Unternehmen belieferte alle großen Ölproduzenten und hatte ihn reich gemacht. Aus diesen beiden Gründen war der Großteil der Moskauer Ölaristokratie anwesend, viele von ihnen mit ihren Kindern, die Mädchen in Partykleidern, die Jungen in Anzügen, einige mit Brokatwesten und Fliege. Es dauerte eine Viertelstunde, bis alle langsam in den Saal geschlendert waren, und dann, endlich, als die Band »Happy Birthday« intonierte, hatte Maria ihren großen
Auftritt. Mittlerweile befanden sich drei- oder vierhundert Menschen in dem Saal und jubelten und klatschten, während das kleine Mädchen schüchtern durch die Gesellschaft hindurchschritt, immer noch an der Hand ihrer Eltern, die ängstlichen Augen abwechselnd auf die lächelnden Gesichter und den Boden des Ballsaals gerichtet.
An der gegenüberliegenden Seite des Ballsaals befand sich eine kleine erhöhte Bühne, die als eigener abgeschirmter Raum in den Saal hinausblickte. Die Familie erklomm die Bühne, und Galinin wandte sich mit dem dort stehenden Mikrofon an die Menge.
»Meine Damen und Herren, herzlich willkommen. Ich möchte Ihnen allen danken, dass Sie hier sind. Wir feiern den Geburtstag einer ganz besonderen jungen Dame« – viel Applaus und Jubel –, »die heute sechs Jahre alt wird. Ich kann es kaum glauben. Maria Sergejewna, schön wie eine Prinzessin in ihrem Geburtstagskleid, wird sechs Jahre alt.« Galinin wartete einen zweiten Ausbruch von Applaus ab. »In ihrem Namen möchte ich Sie einladen, unsere Party zu genießen. Ich glaube, es ist wahrscheinlich die beste Teeparty, die jemals in Moskau stattgefunden hat!« Eine weitere Pause und lebhafter Applaus. »Wir haben Tee – starken und schwachen! –, wir haben Kuchen, wir haben Musik, wir haben Unterhaltung. Ich werde Sie alle gleich Ihrem Vergnügen überlassen, aber vorher habe ich noch eine sehr
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