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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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wieder hier bist. Vielleicht kann ich mit Konstantin sprechen. Der Geist meines Vaters ist ihm immer noch wichtig, glaube ich.
    Dmitris Tod ist ein Zeichen oder ein Signal. Es muss einen Weg geben. Bitte, finde ihn. Ich will, dass meine Ängste sich als grundlos erweisen.

    Immer noch mit all meiner Liebe
M.

    Er hielt den Brief lange in den Händen, seine Augen auf die vertraute Handschrift geheftet, und ließ Marinas Gedanken in seinem Kopf zusammenfließen und konkret werden. Ohne nachzudenken wusste er, dass sie es auf den Punkt gebracht hatte, so wie sie es immer tat. Es war klar und einfach – und gleichzeitig unvorstellbar kompliziert.

8
    Es war Mittwoch und Gerstman seit drei Tagen tot. Webster hatte im Büro ein wenig gearbeitet, aber nicht am Projekt Schneeglöckchen. Es gab ein paar kleinere Fälle, die seine Aufmerksamkeit erforderten: Ein Klient plante, eine Kugellagerfirma in der Tschechischen Republik zu kaufen, und wollte wissen, was er für sein Geld erhalten würde; ein anderer fragte sich, warum der Manager seiner Kiewer Niederlassung so viel Geld verlor (weil er es unterschlagen hatte, wie schließlich herauskam). Webster schaute sich an, wie alles lief, dankte der Vorsehung, dass sein Team so gut war, und verbrachte den Rest der Zeit in seinem Büro, wo er vagen Gedanken über seine Verantwortung anderen gegenüber und die Risiken des Weltenretterdaseins nachhing. Er fühlte sich von seinem Verdacht, von seinem Enthusiasmus betrogen, aber seine Theorie ließ sich nicht zur Seite schieben. Im Gegenteil: Sie war durch Gerstmans Tod eher noch stärker geworden; sie rieb ihm seine Hilflosigkeit unter die Nase und lockte ihn gleichzeitig, die Arbeit wiederaufzunehmen. Hammer ging mit ihm essen und versuchte, ihn davon zu überzeugen, sich weiter mit dem Fall zu beschäftigen. Seine Kollegen hielten sich auf Distanz.
    An diesem Abend ging Webster mit Elsa ins Kino: Die Reise nach Tokio im Tricycle. Danach aßen sie in einem
japanischen Restaurant in Hampstead, einem winzigen Lokal, wo er und Elsa an der Theke saßen und dem Koch am Hibachi-Grill zuschauten. Seine Hände, voller Schwielen und rot von der Hitze, bewegten sich mit unendlicher Geschmeidigkeit, legten Spieße mit Schweine- oder Hähnchenfleisch und Wachteleier auf den geschwärzten Rost, würzten und wendeten sie, und wussten exakt, wann sie durchgebraten waren. Webster betrachtete Elsa, während sie die Speisekarte las. Im Profil und mit gesenktem Kopf sah sie mädchenhaft aus. Das Haar, so dunkelbraun, dass man es für schwarz halten konnte, war weder lockig noch glatt und hing ihr ins Gesicht.
    Sie bestellten. Einige Spieße, etwas Sushi, Meerbrasse und Makrele mit Salz. Sie bekamen Sake in eckigen Holzbechern und noch mehr Salz. Sie stießen an und tranken.
    »Wie war das Mittagessen?«, fragte Elsa.
    »Gut. Wir sind zu diesem schrecklichen Inder gegangen, den er so liebt.«
    Sie lachte. »Leer?«
    »Ein anderer Tisch war besetzt. Ich weiß nicht, wie die überlebt haben, bevor er sie entdeckt hat.«
    Sie drehte sich auf ihrem Hocker, sodass sie ihm fast gegenübersaß. Er schaute weiter auf seinen Sake hinunter. »Und was hat er gesagt?«
    »Du kannst es dir wahrscheinlich denken.«
    »Irgendetwas Neues?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Er will also, dass du weitermachst?«
    Webster nickte. »Wenn ich es nicht tue, macht er es.« Er drehte sich zu ihr hin. »Es steht eine Menge auf dem Spiel.«
    »Ich dachte, du hättest dich entschieden.«

    »Das hatte ich auch.« Elsa schwieg. »Er war sehr überzeugend.«
    »Wie immer.«
    Er machte eine Pause. »Das sieht dir nicht ähnlich.«
    »Was?«
    »Gegen Ike zu sticheln.«
    »Ich stichle nicht. Du weißt, dass ich Ike wirklich mag. Aber er hat andere Prioritäten im Leben.« Sie machte eine Pause, während eine Kellnerin zwei Schalen Suppe brachte und sie auf die Theke stellte. »Zum Beispiel hat er keine Kinder.«
    Webster rührte mit seinen Stäbchen in der Suppe. Helle kleine Tofuwürfel schwammen in der Brühe. Er runzelte die Stirn, verstand sie nicht. »Was hat das damit zu tun?«
    »Ich will nicht, dass jemand dich von einem Dach wirft.«
    »Das ist albern.«
    »Ihr zwei hattet eine Unterhaltung in Berlin. Ein paar Wochen später ist einer von euch beiden tot. Warum solltest du nicht der Nächste sein?«
    Er lachte. »Die bringen keine Berater um. Haben sie noch nie. Das gibt zu viel Ärger. Außerdem würde einfach jemand anderes an meiner Stelle auftauchen.«
    Elsa sagte nichts. Sie

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