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Der Lockvogel

Der Lockvogel

Titel: Der Lockvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Morgan Jones
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»Ich bin hier, weil … Ich bin hier, um zu sagen, dass es mir leidtut, um mich zu entschuldigen für alles, was ich möglicherweise getan habe.«
    »In meinem Beruf, Mr. Webster, muss man wissen, dass man nichts beobachten kann, ohne es zu verändern. Es ist unmöglich, einfach nur Beobachter zu sein. Also haben Sie eine Rolle gespielt, welche auch immer es gewesen sein mag.«
    »Das stimmt.«
    »Ich will Ihnen gegenüber offen sein. Es interessiert mich nicht, was Sie getan haben. Dmitri war nie frei von Russland. Es ist ihm hierhergefolgt. Ich glaube nicht, dass Sie es mitgebracht haben. Er hat versucht, es aufzuhalten, er hat Versicherungen abgeschlossen. Er war sehr vorsichtig. Mein einziges Interesse, alles, was ich will …« Zum ersten Mal schaute sie auf ihre Hände. »Ich will wissen, wie er gestorben ist.« In ihren Augen bildeten sich Tränen. Sie wischte sie mit dem Handrücken weg und blickte einen Moment von Webster weg, aus dem Fenster, auf die Dächer der benachbarten
Häuser. Sie holte tief Luft. »Ich weiß nicht, ob diese Leute dafür bezahlt werden, die Untersuchungen einzustellen, oder ob sie nicht weiterermitteln wollen. Es muss eine … wie sagt man, es muss sehr ärgerlich sein, wenn man einen toten Russen aus Berlin in seiner Stadt findet.« Sie machte eine Pause und sah ihn an. »Aber es ist alles widersprüchlich. Ich weiß, dass er mir diese E-Mail nicht geschickt hat. Ich weiß es.« Sie beugte sich vor, legte die Stirn in die Hände und schüttelte langsam den Kopf.
    Webster beobachtete sie. Nach einiger Zeit schaute sie zu ihm auf.
    »Frau Gerstman«, sagte er, »ich habe Freunde in Budapest, die mich über den Verlauf der Untersuchung auf dem Laufenden halten. Ich will diese Informationen gerne mit Ihnen teilen. Sehr gerne.« Zum ersten Mal verrieten ihre von Tränen geröteten Augen etwas wie Neugier. »Danke.«
    Mit einem kleinen Nicken signalisierte er, dass er sein Versprechen halten würde. Beide schwiegen.
    »Was haben Sie mit diesen Versicherungen gemeint?«, sagte Webster schließlich.
    »Wie bitte?«
    »Sie haben vorhin Versicherungen erwähnt. Dass Dmitri Versicherungen abgeschlossen hat.«
    »Ich wusste nicht, dass ich das gesagt habe.«
    Webster entschloss sich, nicht weiterzubohren. Stattdessen fragte er sie, ob sie Richard Lock kannte.
    »Richard? Ja, natürlich. Er hat mir Blumen geschickt. Warum?«
    »Er arbeitet noch für Konstantin Malin. Ich mache mir Sorgen, dass er, wenn Dmitri wirklich in Gefahr war, es vielleicht auch sein könnte.« Das hatte er bereits bei Ninas
Mann versucht, und während er es aussprach, meldete sich sein Gewissen. Damals hatte er es nicht ganz ernst gemeint.
    »Wenn er immer noch für Malin arbeitet, wird er keine Probleme bekommen.«
    »Was für eine Art Mensch ist Lock?«
    »Ein ziemlich normaler Mann. Dmitri mochte ihn. Mr. Webster, ich ziehe es vor, nicht …« Die Türglocke ertönte. Einen Moment lang sah Nina verwirrt aus, dann sammelte sie sich, so, als wolle sie sich auf eine unangenehme Begegnung vorbereiten. »Entschuldigen Sie mich.«
    Sie verließ den Raum, um die Wohnungstür zu öffnen, und Webster erhob sich. Er hörte einen gedämpften, erregten Wortwechsel auf Deutsch, gefolgt von den Schritten eines Mannes, die auf dem Holzboden schwer und steif klangen. Die hohe Stimme des Mannes sprach weiter, Webster konnte einige Worte aufschnappen: »Zuerst die Russen, jetzt die Engländer. Wenigstens ist er nicht eingebrochen.« Webster stand noch immer, als ein kleiner rotgesichtiger Mann mit gezwirbeltem Schnurrbart und Glatze in den Raum stampfte und murmelte: »Wo ist er? Wo ist er?« Als er Webster sah, blieb er stehen, fixierte ihn mit Blicken und forderte ihn zum Gehen auf: »Raus mit Ihnen. Los. Gehen Sie.«
    Nina kam hinter ihm in den Raum, nahm ihn am Arm und versuchte, ihn wieder hinauszubugsieren, wobei sie etwas sagte, das Webster nicht verstand. Der Mann antwortete ihr in einem bestimmten, leicht herablassenden Ton – »Hat er dich auch bedroht? Dann wird er’s noch« –, und sie ließ seinen Arm los.
    »Wissen Sie, wer ich bin?«, fragte er Webster.
    »Ich glaube schon, ja.« Webster hatte ihn bei seinem ersten Besuch in Berlin mit Gerstman zusammen gesehen. Er
trug einen Tweed-Anzug. Er hatte einen fast grotesk stark ausgeprägten Akzent.
    »Ich bin Heinrich Prock, Herr Webster. Partner von Herrn Gerstman, der inzwischen tot ist. Vielleicht habe ich mich nicht klar ausgedrückt, als ich Sie angerufen habe, Herr

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