Der Lockvogel
Webster, hm? Wir wollen das aus unserem Leben hinaus haben. Hinaus .« Prock sprach immer noch nachdrücklich, doch seinem Auftreten haftete etwas Linkisches, beinahe Lächerliches an. Er wirkte wie ein Schoßhündchen mit einem mächtigen Bellen. Webster schoss der Gedanke durch den Kopf, dass er Prock vielleicht nicht so ernst genommen hätte, wenn er an jenem Sonntag im Park persönlich mit ihm gesprochen hätte. »Für immer .« Er redete weiter: »Ich weiß weder, für wen Sie arbeiten, noch was Sie wollen, und das ist mir auch egal, Herr Webster, aber ich will, dass diese Frau in Ruhe gelassen wird. Sie hat genug durchgemacht. Da kommen Sie einfach hierher, in die Wohnung einer Witwe, nicht einmal eine Woche, nachdem ihr Mann gestorben ist, um Antworten auf Ihre eigenen Fragen zu suchen. Sie sind keinen Deut besser als die anderen. Und jetzt möchte ich, dass Sie gehen, bevor ich die Polizei rufe. Gehen Sie jetzt, bitte.« Er zeigte auf die Tür, eine unnötige Geste.
Nina wandte sich ihm zu und sagte mit leiser Stimme etwas zu ihm. Prock antwortete mit einem drängenden Zischen: »Wann kamen die Anrufe? Vor zehn Tagen? Und dann tauchte er auf? Wie kannst du wissen, dass er nicht für sie arbeitet?«
Webster schaute zu Nina, die mit verschränkten Armen neben Prock stand. Sie nickte widerwillig, als wolle sie sagen, dass sie sich ein anderes Ende dieses Besuchs gewünscht hätte, aber dass er jetzt tatsächlich besser gehen solle.
Als er an Prock vorbeischritt, blieb er vor Nina stehen und sagte: »Vielen Dank. Wenn ich etwas aus Budapest höre, lasse ich es Sie wissen.«
Sie nickte wieder. Im Hinausgehen spürte er förmlich, dass Procks Entrüstung es kaum erwarten konnte, sich Luft zu verschaffen.
Nach Berlin verbrachte Webster in Paris einen Tag mit einem herzlichen Onder, der Lock getroffen und viel zu berichten hatte, dann flog er zurück nach London, um sich am nächsten Tag, einem Freitag, mit Tourna zu treffen. Er spürte, wie der Fall – gegen seinen Willen – wieder an ihm zu zerren begann, ihm Ideen entlockte, ihn von einem Ort zum anderen führte. Und seine Fantasie beflügelte. Gute Fälle waren so, sie ließen einen nicht in Ruhe. Nina wusste etwas, da war er sich sicher – und er war sich auch sicher, dass sie es ihm sagen würde, wenn sie den Eindruck hätte, es würde Malin wirklich schaden. Er fragte sich, was seine Motivation war: ob er Gerechtigkeit für Nina wollte, oder ob er einfach selbst die Wahrheit wissen musste.
Als er das Flugzeug verließ, wartete eine Voicemail-Nachricht von Alan Knight auf ihn. Er hatte von seinem russischen Telefon aus angerufen, was ungewöhnlich war.
»Ben, hier ist Alan. Es ist Donnerstag. Wahrscheinlich hört jemand mit, doch das soll mir inzwischen egal sein. Wenn die das hier hören, dann glauben die mir vielleicht.« Er sprach leise und heiser, als ob er seine Stimme verlieren würde. »Ich will nur sagen, dass wir nicht mehr zusammenarbeiten werden, Ben. Tut mir leid. Aber das Leben hier ist ein bisschen schwierig geworden. Scheinbar kann ich nicht mehr ins Land kommen, ohne einen halben Tag
lang Fragen über meine Klienten beantworten zu müssen, jetzt schon zum zweiten Mal. Man hat mir geraten, nicht mehr für Leute im Westen zu arbeiten, so ist das eben. Kann man nicht viel dagegen tun. Ich wünschte, es wäre anders. Ich wünschte, ich könnte auch etwas dagegen tun, dass die Steuerfahndung mein Büro durchsucht, aber das wird sich sicher bald aufgeklärt haben, was? Ist bei diesen Dingen normalerweise so.« Er machte eine lange Pause. Webster dachte schon, die Nachricht sei zu Ende. »Also, Ben, wenn Sie das nächste Mal in Tjumen sind, kommen Sie nicht bei mir vorbei, okay? Am besten, Sie lassen mich eine Zeit lang in Ruhe. Am besten, Sie lassen mich ganz in Ruhe.«
So hatte er Knight noch nie gehört. Er hatte sich schon oft über die Aufmerksamkeit beschwert, die ihm vom Geheimdienst zuteilwurde, auch dass man sein Telefon anzapfte, aber Webster hatte immer angenommen, es sei ein stabiles Arrangement, das Knight für sich in Russland getroffen hatte. Er war schon so lange dabei. Er war einer von ihnen.
An diesem Abend schrieb Webster einen Statusbericht für Tourna und stellte überrascht fest, dass es ziemlich viel zu sagen gab. Er erwähnte Inessa mit keinem Wort. Doch Knight ging ihm nicht aus dem Sinn. Er wollte gerne glauben, dass jeder von Alans Jobs dahinterstecken konnte und dass es keinen Grund gab anzunehmen, seine
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