Der Lockvogel
Tradition haben, ihre Feinde auch außerhalb Russlands zu erwischen. Er behielt den Gedanken für sich.
»Ben, ich hasse das. Ich hasse das. Es ist dein Fall, oder?«
»Wahrscheinlich.«
»Wahrscheinlich? Wenn er es nicht ist, was in aller Welt ist es sonst?«
»Es ist der Fall.«
»Genau. Und jetzt wissen sie, wo die Kinder wohnen. Und sie sagen es mir, der Mutter, in einer E-Mail.« Sie machte eine Pause. Webster dachte, dass das der cleverste Aspekt dabei war. »Macht dir das etwa keine Angst?«
»Das macht es nicht. Ich bekomme nicht zum ersten Mal solche Sachen. Das soll einen verunsichern.«
»Verunsichern? Das ist gut. Hör mal zu. Ich bin verunsichert. Absolut verunsichert. Ich bemühe mich, dass meine
Arbeit nicht unser Privatleben beeinträchtigt, und ich glaube, das solltest du auch tun.«
»Schatz, hör mir zu. Wirklich, mach dir keine Sorgen. Es ist eine Warnung an Neugierige. Sie wollen, dass ich aufhöre, an dem Fall zu arbeiten.«
»Dann solltest du das vielleicht tun.«
In seinem Büro schaute Webster auf die E-Mail und schüttelte den Kopf. Im Kopf spielte er die Sache durch. Wenn Malin so etwas tat, bedeutete das, dass er nervös wurde, und das konnte nur gut sein.
»Nein. Nicht jetzt. Das bedeutet nichts. Es ist nichts.«
Elsa war am anderen Ende der Leitung still.
»Hör zu. Wenn jemand dich tatsächlich attackieren will, dann kündigt er es nicht vorher an.«
»Aber es gibt kein Gesetz, das es ihm verbietet, oder?«
Nein, es gab kein Gesetz.
Im Verlauf der nächsten Wochen blieb diese E-Mail im Hintergrund immer präsent und zerrte beharrlich an Websters Gedanken. Der Missbrauch von Inessas Andenken war ein ständiger Stachel. Elsa war angespannt. Er versuchte, sie zu beruhigen, doch seine Argumente waren ebenso logisch wie irrelevant. Sie klangen selbst in seinen eigenen Ohren hohl. Und vor allem wollte sein Stolz nicht zulassen, dass ein derart hässliches und einfaches Mittel Erfolg hatte. Es war zu niederträchtig, zu simpel. Wenn es überhaupt einen Effekt hatte, dann den, seine Entschlossenheit zu stärken.
An diesem Wochenende fuhren die Websters an die Südküste, in ein Cottage in Winchelsea, knapp zwei Kilometer vom Meer entfernt. Sie gingen im Regen am großen Strand von Camber Sands spazieren, wo weit und breit kein
Mensch zu sehen war. Sie aßen Fish and Chips in Rye und wurden auf einer Farm von einer Herde freundlicher Ochsen verfolgt. London und Moskau schienen weit entfernt.
Am Samstagabend war Webster gerade dabei, Daniel etwas vorzulesen, als das Handy in seiner Tasche zu summen begann. Er ignorierte es und las die Geschichte zu Ende, gab Daniel einen Gutenachtkuss und ging nach unten in die Küche.
Es war keine Nachricht auf seiner Mailbox, und der Anruf kam von einer russischen Nummer, die ihm nichts sagte. Er wählte sie, klemmte sich das Telefon zwischen Kopf und Schulter und nahm sich ein Glas vom Regal.
»Hallo, hier spricht Ben Webster. Sie haben mich gerade angerufen.«
»Ben. Hier ist Leonard. Cahill. In Moskau.«
»Leonard. Gut, von dir zu hören. Wie geht’s?« Er griff nach einer Flasche Whisky und schenkte sich einen Finger breit ein, dazu einen Schuss Wasser aus dem Krug. Über ihm im ersten Stock lief Elsa herum.
»Ben, hast du etwas von Alan gehört? In den letzten Tagen.«
»Er hat mir letzte Woche eine Voicemail hinterlassen.«
»Wann genau?«
»Ich war gerade in Heathrow, also war es Donnerstag. Spätnachmittag.«
»Seitdem nichts?«
»Nein, warum?«
»Er ist verschwunden.«
Webster trank einen Schluck und stellte sein Glas ab. »Was heißt das: verschwunden?«
»Er war am Wochenende in Tjumen. Dann hatte er eine
Geschichte für uns in Sachalin. Dort ist er nie aufgetaucht. Seine Frau hat ihn am Montagmorgen verabschiedet und seither nichts mehr von ihm gehört.«
»Woran hat er gearbeitet?« Elsa kam in die Küche. Sie nahm eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank und schenkte sich ein Glas ein. Er formte ein lautloses »Sorry« mit den Lippen und ging in den Flur.
»Etwas über Sachalin II. Ein Gefälligkeitsartikel, nichts Aufregendes. Ich wollte dich das Gleiche fragen.«
»Er hat seit sechs Monaten nichts für mich gemacht.« Was streng genommen sogar der Wahrheit entsprach.
»Du weißt nicht, woran er gearbeitet hat?«
»Nein. Wir haben da eine Sache besprochen, aber es wurde nichts draus.«
»Scheiße. Seine Frau ist außer sich. Sagt, dass er das noch nie gemacht hat. Hat er dir von seinen Problemen
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