Der Lockvogel
Islands gebucht, Abflug in Moskau am Mittwoch, mit zweitägigem Zwischenstopp in London auf dem Rückweg.
Überwachung fraß alles auf: Zeit, Geld und Aufmerksamkeit. Webster konnte sich nie dafür begeistern. Wenn eine Aktion lief, war es ihm unmöglich, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Dabei waren die Resultate oft mager – man erfuhr selten so viel, wie man wollte.
Im Moment lief alles problemlos. Das Team hatte sich auf dem Flughafen Heathrow an Locks Fersen geheftet, nachdem sein Flug von den Cayman Islands gelandet war. Er wurde begleitet von zwei Bodyguards und jemandem, der wie ein Anwalt aussah, wahrscheinlich einer der Männer von Bryson Joyce. Letzterer hatte sich nach dem Zoll verabschiedet und den Zug in die Stadt genommen. Einer von Locks Männern hatte ein Auto gemietet. Dabei hatte es eine Meinungsverschiedenheit mit dem Mietwagenunternehmen gegeben, und Lock hatte sich über die Verzögerung aufgeregt, doch schließlich war ein silberner Volvo Kombi vor der Ankunftshalle vorgefahren und mit Lock und dem zweiten Bodyguard in Richtung der Londoner Innenstadt gestartet.
Eine der ersten SMS-Nachrichten, die Webster an diesem Morgen von seinem Team bekommen hatte, lautete in gewohnt emotionslosem Ton: »Nachfrage am Hertz-Schalter ergab, dass der Herr enttäuscht war, nicht den Mercedes zu bekommen, den er seiner Meinung nach reserviert hatte.«
George Black, Anbieter erstklassiger Dienstleistungen im Bereich Observation und Gegenobservation, hatte sich angehört, was Webster brauchte, und ein Team von sechs Leuten zusammengestellt: vier in einem Auto und zwei auf einem Motorrad. Eine Frau in dem Auto, eine auf dem Rücksitz des Motorrads. Eine gute Frau war, wie George Webster oft versichert hatte, ein entscheidender Aspekt einer jeden erfolgreichen Operation. Black selbst saß im Auto, leitete die Operation und schickte Webster eine SMS nach der anderen. Er war Soldat, oder war es gewesen, seine Laufbahn hatte Dienst in Spezialeinheiten ebenso umfasst wie Arbeit für den Militärgeheimdienst. Er erzählte wenig von seiner Vergangenheit, wenn er aber etwas sagte, wusste man, dass es stimmte – und er hatte schon weitaus gerissenere und unangenehmere Menschen als Lock beschattet. Er war direkt, effizient und ging absolut in seinem Job auf, den er besser machte als jeder andere, den Webster jemals ausprobiert hatte. Doch selbst er verlor hin und wieder jemanden.
Heute war das nicht wichtig, jedenfalls nicht sehr. Später würde Lock mit Onder essen gehen (das war der schwierigste Teil der Vorbereitungen gewesen, denn Webster hatte Onder schließlich mit Visionen von Locks unmittelbar bevorstehendem Ableben erpressen müssen, um ihn davon zu überzeugen, nach London zu kommen), und durch ihn wussten sie, wo er absteigen würde – im Claridge’s in Mayfair. Es gab nicht das eine entscheidende Treffen, das sie auf
keinen Fall verpassen durften, und das machte die ganze Operation weniger nervenaufreibend, als sie es sonst geworden wäre.
Websters Auftrag an George war ungewöhnlich: zu berichten, wie Lock sich verhielt. Ist er entspannt oder geschäftig? Lächelt er, ist er in Eile, versteckt er sich? Geht er Malins Geschäften nach oder seinen eigenen?
Die SMS-Nachrichten kamen alle zehn bis fünfzehn Minuten. »Zielperson bewegt sich auf M4 in östlicher Richtung.« … »Zielperson bewegt sich in östlicher Richtung auf der A4.« … »Zielperson nähert sich dem Claridge’s entlang der Upper Brook Street.« Black verwendete niemals Abkürzungen. Webster versuchte, seine E-Mails zu bearbeiten, machte aber wenig Fortschritte. Schließlich verließ er sein Büro und ging spazieren.
Es war mitten am Vormittag, es regnete immer noch, und die Menschen in der Chancery Lane, die sich ihr Frühstück geholt hatten und noch nicht zum Mittagessen ausgegangen waren, arbeiteten. Webster konnte die Geschäftigkeit um ihn herum spüren, hinter den neuen Glasfassaden und in den älteren Betontürmen, in den Büros, in denen Juristen Gesetze auslegten und Buchhalter Zahlen addierten. Niemand stellte hier etwas her. Niemand verkaufte Sachen, außer Sandwiches und Krawatten und Geburtstagskarten. Die Leute, die hier arbeiteten, schätzten Risiken ab, überprüften, analysierten; sie disputierten, klärten, bezeugten; sie schrieben Berichte und stellten am Ende Rechnungen aus. Sie halfen ihren Klienten dabei, Geld zu verdienen, kein Geld zu verlieren und körperlicher Arbeit aus dem Weg zu gehen. Sie
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