Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
mit niemandem über meine Freunde zu unterhalten. Weder über jetzige noch über ehemalige.» Ich wandte mich ab und wollte in die Küche zurückgehen. Zu meiner Überraschung packte Rytkönen mich am Handgelenk. Sein Griff war so fest wie bei unserer ersten Begegnung.
«Denk dran, dass ich dich nach Jokiniemi zitieren kann, wann immer ich will. Ich kann dich sogar verhaften, unter dem Verdacht, einen international gesuchten Verbrecher zu decken. Wenn du weißt, wo der Stahl steckt, solltest du es schleunigst sagen. Oder willst du eine Anklage wegen Beihilfe zum Mord riskieren?»
Rytkönen war puterrot geworden und zitterte vor Wut. Ich grub die Fingernägel meiner freien Hand in sein Handgelenk. Obwohl sie nicht besonders lang waren, stöhnte er vor Schmerz und ließ mich los. Die Damen am Nebentisch starrten uns neugierig an. Sie hatten nicht ahnen können, dass ihnen an diesem Abend im Sans Nom eine Theateraufführung geboten wurde. Mir als einem der Hauptdarsteller war allerdings ganz und gar nicht klar, ob es sich um eine Farce oder eine Tragödie handelte.
«Was redest du da, Mord? Davon weiß ich nichts.»
«Lüg nicht. Nach deinem Liebhaber wird gefahndet, weil er einen Mann namens Carlo Dolfini ermordet und die Leiche in einem Sumpf abgeladen hat. Du warst in Italien, als Dolfini verschwunden ist. Seine Frau ist angeblich ihrem Mann nach Amerika gefolgt. Vermutlich liegt sie in einem anderen Sumpf, denn bisher hat man sie noch nicht gefunden.»
«Warum hätte Stahl diesen Dolfini töten sollen?»
«Dolfini war ebenfalls einer von Gezolians Männern und hätte Stahl identifizieren können. Die russische und die italienische Mafia sind miteinander verzahnt. Teppo Laitio ist unerhört gutgläubig gewesen, was dich und Stahl betrifft. Es wird Zeit, dass er in Rente geht, da er offenbar nicht mehr zwischen Ganoven und ehrbaren Leuten unterscheiden kann.»
Zwar kannte ich die Handlung des Stücks nicht, doch dafür konnte ich meine Rolle so gestalten, wie ich wollte. Ich ließ Rytkönen einfach sitzen. Auf dem Rückweg in die Küche sagte ich zu Helinä, sie solle am Tisch vier die Dessertbestellung aufnehmen und kassieren, wenn es so weit war. Mein Gastspiel im Speisesaal war beendet. Natürlich konnte Rytkönen mich zur Vernehmung vorladen oder sogar verhaften. Einen Vorwand würde er sicher finden. In einem richtigen Gefängnis war ich noch nie gewesen, aber an der Sicherheitsakademie Queens hatten wir trainiert, das Leben in einer Zelle zu ertragen. Obwohl ich nur zwei Tage eingesperrt war und zudem wusste, dass es sich um einen Test handelte, hatte ich mit aller Macht gegen die Klaustrophobie ankämpfen müssen. Luchse durfte man nicht einsperren.
Da ich in der Küche gerade nicht gebraucht wurde, wechselte ich die Speicherkarte des Monitors aus, der die Ereignisse im Saal aufzeichnete, denn die Signallampe flackerte inzwischen schon wie verrückt. Nach getaner Arbeit warf ich noch einen Blick auf den Monitor, um zu sehen, wie es Rytkönen schmeckte. Ich zuckte zusammen, als ich sah, dass er nicht mehr allein am Tisch saß. Auf dem zweiten Stuhl hatte Juri Trankow Platz genommen.
Zum Glück war Helinä gerade in der Küche, um fertige Bestellungen zu holen. Ich hielt sie zurück.
«Der Mann bei dem Bodybuilder an Tisch vier … Hatten die beiden gemeinsam reserviert?»
Helinä lächelte über das ganze Gesicht.
«Dein Verehrer ist wieder da. Es ist voll, deshalb habe ich die beiden gefragt, ob es ihnen etwas ausmacht, am selben Tisch zu sitzen. Möchtest du bei deinem Freund kellnern?»
«Nein. Wenn er nach mir fragt, schick ihn in die Küche. Oder nein, lieber in den Kontrollraum.»
Dorthin ging ich nun zurück und lenkte die Kamera genau auf Tisch vier. Wenn Rytkönen seine Hausaufgaben gemacht hatte, musste er wissen, wer ihm gegenübersaß.
Trankow trug wieder seine Mafia-Kluft: schwarzer Dreiteiler und dunkle Krawatte. Er sah noch blasser aus als zuvor, sein Kinn zierte ein Dreitagebart. Waren Syrjänens Geschäfte in Moskau schlecht gelaufen, oder steckte Trankow in einer schöpferischen Krise? Ich war beinahe enttäuscht, weil er nicht als Erstes gefragt hatte, ob ich im Dienst war. Unser Gemälde war ja noch unvollendet.
Rytkönen verzehrte in aller Ruhe seine Portion. Helinä trat an den Tisch und nahm Trankows Bestellung auf; sie reichte auch Rytkönen, der offenbar ein Dessert wollte, die Speisekarte. Trankow flirtete mit Helinä, und sie spielte mit. Ich hatte ihr ja selbst
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