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Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Titel: Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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als Mann eher Gefahr, vor einer Wurstbude oder am Taxistand in Prügeleien verwickelt zu werden, während sich eine Frau in solchen Situationen meist gegen zudringliche Annäherungsversuche zur Wehr setzen musste. Im Allgemeinen gab ich mich als Reiska zurückhaltend, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Das Treffen mit Rytkönen sprach allerdings nicht unbedingt für Bedachtsamkeit.
    Ich machte mich schon kurz nach zehn Uhr auf den Weg, um frühzeitig am Treffpunkt zu sein. Unterwegs qualmte ich wie ein Schlot und gab mir Mühe, nicht zu husten, als der Rauch in die Lunge drang. Deinetwegen riskiere ich sogar Krebs, wimmerte ein verunsichertes Wesen in meinem Kopf, doch Reiska trieb Hilja schleunigst in die Flucht.
    Auf der Hietalahdenkatu war es ruhig. Der Friedhof war längst geschlossen. Als ich klein war, hatte ich geglaubt, dass die Toten bei Vollmond wirklich aus ihren Gräbern stiegen und einen lärmenden Knochentanz aufführten, jedenfalls diejenigen, die nicht wie meine Mutter in einer Weltraumkapsel in den Himmel geflogen waren. Und ich war immer noch nicht ganz davon überzeugt, dass es keine Gespenster gab. Mitunter sah ich Menschen, die längst ins Jenseits gegangen waren: meine Mutter, Onkel Jari, manchmal sogar ein Kind, das nur wenige Zentimeter groß geworden war. Das Spukhaus in meinem Kopf florierte.
    Auf dem Uferweg begegnete mir ein weißhaariger alter Mann mit zwei großen braunen Hunden. Die Tiere sprangen munter herum, sie genossen die kälter werdende Luft. Die Pfützen waren noch nicht gefroren, doch der sternenklare Himmel, an dem nur noch wenige, rasch dünner werdende Wolkenfetzen hingen, kündigte Frost an. Eine Sonnenbrille war bei diesem Wetter albern, aber ich setzte trotzdem die Pilotenbrille auf. Die Gläser waren selbsttönend und daher im Abenddunkel recht hell, doch immerhin verbargen sie meine Augen ein wenig.
    Auf der Insel standen viele für den Winter aufgebockte Boote. Ich schlich mich hinter das nächstgelegene und wartete in seinem Schutz auf Rytkönens Auftritt. Notfalls konnte ich zwischen den Booten verschwinden. Ich sah mich nach Überwachungskameras um, entdeckte auf die Schnelle zwar keine, war aber überzeugt, dass man die Boote nicht völlig unbeaufsichtigt ließ.
    Rytkönen kam ein paar Minuten vor der vereinbarten Zeit, er stellte seinen Wagen am hintersten Ende des Parkplatzes ab. Ich hatte ihm am Telefon befohlen, allein zu kommen, konnte mich aber keinesfalls darauf verlassen, dass er sich an die Anweisung hielt. Möglicherweise wimmelte es in der Umgebung von Polizisten, und Rytkönen war mit einem Recorder und einer Videokamera ausgerüstet, aber es war ja nicht das erste Mal, dass ich ein Risiko einging. Und – wie ich David einmal gestanden hatte – ich genoss die Gefahr. Nach Mike Virtues Ansicht war das der schlimmste Fehler für einen Leibwächter. Gefahr sei nicht erregend, sagte er, und wer anders empfinde, habe den Beruf verfehlt. Dennoch wagte ich, Mikes Lehren zuwiderzuhandeln. Der ungefährlichste Weg war in diesem Fall nicht der beste.
    Ich beobachtete Rytkönen eine Weile lang, bevor ich aus dem Schatten trat. Er erweckte den Eindruck, Herr der Lage zu sein. Ich dagegen spürte wachsende Nervosität. Vergiss Hilja gefälligst. Du bist Reiska, der wichtige Informationen über David besitzt. Du hast Oberwasser, keine Sorge.
    «’n Abend, Rytkönen.» Reiskas Stimme klang geradezu großkotzig. Er trat auf Rytkönen zu, gab ihm aber nicht die Hand, und auch Rytkönen nickte nur knapp.
    «Und wer bist du?», fragte er, nachdem er Reiska zwanzig Sekunden lang gemustert hatte.
    «Mein Name tut nichts zur Sache.» Reiska bemühte sich, normales Finnisch zu sprechen, konnte seinen Savoer Akzent jedoch nicht völlig verbergen.
    «Wie du vermutlich weißt, bin ich Polizist. Ich kann dich zwingen, mir deinen Namen zu nennen.»
    «Vielleicht wären deine Kollegen nicht erfreut, wenn sie von mir erführen, dass du Kass heißt – oder dich jedenfalls unter der Telefonnummer von Kass meldest.»
    «Was weißt du schon über Kass!» Rytkönen trat einen Schritt zurück, er hatte wohl gemerkt, dass er direkt im Lichtkegel einer Straßenlampe stand.
    Reiska fühlte sich wie ein Luchs, der auf einem vereisten Baumstamm balancierte und einem Waldren auflauerte. Eine falsche Bewegung, und die Beute ergriff die Flucht. Wenn das riskante Unternehmen aber gelang, reichte die Nahrung für mehrere Tage.
    «Man hört allerhand, wenn man sich in den richtigen

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