Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
verwünschte ich sie von ganzem Herzen. Diese Idioten hatten keine Ahnung, wovon sie sprachen.
Erst jetzt betrachtete ich Trankows Körper genauer, bisher hatte ich ihn nur auf meiner Haut gespürt. Juri war beinahe mager, hatte aber starke Schultern und Arme, und sein Bauch war flach wie ein Waschbrett. Welche Sportart betrieb er wohl? In Bromarv hatte ich ihn mühelos niedergeschlagen, aber damals hatte ich den Überraschungseffekt auf meiner Seite gehabt. So leicht würde ich jetzt nicht mehr mit ihm fertigwerden.
«Kannst du über Nacht bleiben? Ich würde gern noch weitermalen, und dann möchte ich mit dir zu Abend essen. Es wird sicher ziemlich spät.»
Ich stimmte zu, ging auf die Toilette und wusch mich. Es war so warm im Atelier, dass ich darauf verzichtete, mich anzuziehen. Die Jalousien waren ja geschlossen. Trankow dagegen stieg in seine Kleider und lächelte mich verlegen an, als ich wieder die Position der Luchsprinzessin einnahm. Er arbeitete sehr langsam und bedächtig, hielt immer wieder inne und sah mich an, aber nicht mit dem Blick eines Liebhabers, sondern mit den Augen des Künstlers.
Ich hatte zu Mittag reichlich gegessen, doch nachdem ich etwa eine Stunde posiert hatte, verspürte ich Hunger. Die Esslust nach dem Sex war eine meiner unromantischsten Eigenschaften, nicht wenige Männer hatten sich darüber gewundert. Auch Sportler brauchen nach ihrem Einsatz Energiezufuhr, pflegte ich zu erklären. Ein blutiges Steak zu verschlingen hatte sich zudem als probates Mittel erwiesen, einen Kerl loszuwerden, mit dem ich mich nicht mehr treffen wollte. Bei Trankow würde es wohl nicht wirken, außerdem hatte ich noch nicht alles bekommen, was ich von ihm wollte.
«Wie alt bist du eigentlich, Juri?», fragte ich, als er wieder eine längere Malpause einlegte.
«Spielt das eine Rolle?» Die blauen Augen blitzten misstrauisch.
«An sich nicht. Aber du scheinst ziemlich viel über mich zu wissen. Da ist es doch nur fair, wenn du mir auch eine Kleinigkeit verrätst.»
«Sechsundzwanzig. Aber ich habe so viel von der Welt gesehen wie zwei in meinem Alter», sagte Trankow und klang jünger, als er war. Der Altersunterschied zwischen uns betrug keine zehn Jahre. Also war er unerheblich.
Ich schwieg, bis Trankow endlich den Pinsel fortlegte und sich den Schweiß von der Stirn wischte. Vorsichtig dehnte ich meine Schultermuskeln; während wir uns geliebt hatten, hatte eine Zeitlang unser beider Gewicht auf meinen Schultern gelastet.
«Ist es fertig?» Ich ging zu meinen Kleidern. Noch hatte ich keine Lust auf eine neue Runde im Bett, sondern auf ein ordentliches Abendessen.
«Dein Anteil ja. Ich muss noch ein wenig daran arbeiten.»
«Darf ich es sehen?», fragte ich, nachdem ich mich angezogen hatte. Trankow breitete die Arme aus, als wolle er sagen, warum nicht. «Aber du musst zwei Dinge beachten: Es ist noch nicht ganz fertig, und es ist kein Porträt in dem Sinn, dass ich versucht hätte, deine Gesichtszüge möglichst exakt abzubilden. Ich wollte deine Seele einfangen – falls es überhaupt möglich ist, sie auf die Leinwand zu bannen.»
Ich hätte Trankow viel lieber mein Gesicht als meine Seele malen lassen, glaubte allerdings nicht, dass er ihrer habhaft werden konnte, da ich meist selbst nicht wusste, wer ich eigentlich war. Dennoch näherte ich mich dem Gemälde voller Vorbehalte. Trankow hatte der Frau auf dem Bild die Maserung eines Luchsfells in die Haare und schwarze und weiße Striche um die Augen gemalt. Immerhin hatte er auf Fellbüschel an den Ohren verzichtet. Vom künstlerischen Wert des Gemäldes hatte ich keine Ahnung, doch es lief mir kalt den Rücken hinunter, als ich erkannte, dass tatsächlich ein Stück meines Ichs in diesem Bild steckte, unwiderruflich eingefangen.
Trankow beobachtete mich, fragte aber zum Glück nicht nach meinem Urteil. Ich wechselte die Perspektive, trat ein Stück zurück, betrachtete das Bild von links und rechts. Dass der Blick der Frau mir folgte, konnte wohl als Zeichen für eine gewisse Kunstfertigkeit gelten. Ich glaubte beinahe, den Geruch des Luchses wahrzunehmen.
Da ich keine Worte fand, küsste ich Juri auf die Wange. Er umarmte mich erleichtert und fragte, ob ich Hunger hätte. Endlich konnte ich ihm einmal eine völlig ehrliche Antwort geben.
«Syrjänen ist mit seiner derzeitigen Freundin Julia und der Haushälterin Hanna im Haus. Ich habe ihm gesagt, dass ich einen Gast zum Abendessen mitbringe.»
«Essen wir mit ihnen?»
«Ich
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