Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
ein Politiker für das Fernsehen interviewt, vermutlich zum selben Thema. Ich kannte ihn aus der Zeit, als ich Leibwächterin und vorübergehend auch Assistentin der Abgeordneten Helena Lehmusvuo war. Die kurze Zeit hatte genügt, um mich davon zu überzeugen, dass vernünftige Menschen im Parlament fehl am Platz waren.
Im Park an der Töölö-Bucht blühten bereits die Krokusse, aber es war noch so kühl, dass ich meine Schritte beschleunigte. Mein dünner Anorak hielt den kalten Wind nicht ab. Ich hatte alle warmen Sachen in der Untamontie gelassen, als ich zu David gereist war. Jetzt hätte ich sie gebrauchen können. Da ich viel zu früh dran war, drehte ich noch eine Runde um das Fußballstadion und die Eishalle. Im Stadion trainierte eine Frauenmannschaft, und zwei Ganztagssäufer, die gerade das dritte Bier kippten, wie aus den leeren Flaschen zu schließen war, feuerten die Spielerinnen mit eigenwilligen Kommentaren an. Ich stellte mir vor, wie Reiska die Frauen betrachten würde. Die Brüste der Blonden hüpften so schön, die enge Sporthose der kleinen Brünetten drückte sich hübsch in die Pofurche. Die Passanten erfuhren natürlich nichts von Reiskas Gedanken, aber wenn ich mich in ihn verwandelte, wollte ich ganz und gar Mann sein. Reiska schien sich plötzlich in meinem Kopf breitzumachen, er wollte wieder zum Vorschein kommen. Vielleicht sollte ich das nächste Mal in Reiskas Gestalt bei Kass anrufen. Reiska hatte so ungeschickte Finger, dass er sich schon mal verwählen konnte, besonders wenn er ein paar Bierchen gezischt hatte.
Ich klingelte ein wenig vor der vereinbarten Zeit bei Laitio, denn aus den dunklen Wolken, die aufgezogen waren, fielen bereits die ersten Tropfen, und ich hatte keine Lust, nass zu werden, nachdem ich mich gerade warm gelaufen hatte.
«Bist du das, Ilveskero?», schnaufte Laitio über die Gegensprechanlage. «Rytkönen ist hier, aber komm ruhig schon rein.»
Ich ging die Treppe hoch in den obersten Stock. Aufzüge waren eine unnütze Erfindung, sie konnten steckenbleiben. Das war mir einmal passiert, in einem vierzigstöckigen Wolkenkratzer in New York. In der drei Quadratmeter großen Kabine hatten sich außer mir noch fünf Personen befunden, von denen eine überreichlich parfümiert war und eine vor Angst in die Hose gemacht hatte. Mich hatten die Lehren von Mike Virtue vor Panik bewahrt. Der Aufzug in Laitios Haus sah so alt aus, dass man ihm besser nicht traute.
In der obersten Etage roch es verqualmt. Laitios Familie – das heißt, soweit ich wusste, lebten nur noch seine Frau und eine übellaunige Katze namens Koch bei ihm – besaß die größere Wohnung in diesem Stock, und Laitios Arbeits- und Rauchzimmer befand sich in dem angrenzenden Zwei-Zimmer-Apartment, dessen Tür offen stand. Ein durchschnittlicher finnischer Nachbar hätte sich sofort über den Zigarrenqualm beschwert, und ich fragte mich, mit welchen Drohungen Laitio seine Nachbarn in Schach hielt. Ich trat ein und schloss die Tür laut genug, um meine Ankunft zu signalisieren. Aus Laitios Arbeitszimmer kam ein mir völlig unbekannter Mann in die Diele. Er maß nicht viel mehr als eins fünfzig, kompensierte die fehlende Größe aber durch Muskelmasse. Seine Schultern waren so breit wie Davids, und seine Schenkel drohten die helle Baumwollhose zu sprengen.
«Teppo ist auf dem Klo», sagte er. «Tach, ich bin Mara Rytkönen, Kommissar in der Auslandsabteilung bei der Zentralkripo.» Er streckte mir die Hand hin. Ich ergriff sie nicht sofort. Beinahe hätte ich gesagt, lüg mich nicht an, Bursche. So kleine Kerlchen werden nicht zur Polizeischule zugelassen. Doch dann fiel mir ein, dass man vielleicht nicht unbedingt die Polizeischule absolviert haben musste, um Kommissar zu werden. Der Händedruck entsprach genau meinen Erwartungen – so manche Frau hätte vor Schmerz aufgeschrien. Ich drückte ebenso fest zurück und schätzte, dass wir beide zwar ungefähr gleich viel wogen, dass ich ihm aber dank meiner Größe und meiner Judokenntnisse im Zweikampf überlegen wäre, sofern er nicht in anderen Kampfsportarten geübt war.
«Ilveskero», stellte ich mich vor, als Rytkönen meine Hand endlich freigab.
«Weiß ich doch. Wir ham sogar ne Akte über dich.» Rytkönen lächelte breit. Er hatte straffe Gesichtsmuskeln und hohe Wangenknochen, und an seinem muskulösen Hals wölbte sich ein riesiger Adamsapfel, als hätte das Bodybuilding auch diesen Körperteil wachsen lassen. «Du bist auch aus
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