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Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Titel: Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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hatte ihn umkreist und war ihm immer näher gekommen, doch als der Schwan die Flügel ausgebreitet und wütend gefaucht hatte, war sie davongesprungen. Ich hatte das Ereignis aus der Ferne beobachtet und über die Verwirrung meiner Luchsschwester gelacht. Später hatte ich es bereut. Der arme Luchs hatte wohl noch nie erlebt, dass ein Vogel fauchte wie eine Katze.
    Trankow ging zur Heizung und drehte am Thermostat.
    «Ich habe ihn ein bisschen höher gestellt, damit du nicht frierst. In Workuta wären Nacktmodelle unvorstellbar gewesen, und als unreifer Jüngling hätte ich es damals auch gar nicht gewagt, irgendwen zu bitten, sich auszuziehen. Wir hatten nur ein Zimmer, dort habe ich gemalt, wenn meine Mutter zur Arbeit war. Ich musste gut aufpassen, dass ich nichts schmutzig machte. In der Kunstschule hatten wir zwar Licht, aber keine Heizung. Wir mussten Handschuhe ohne Finger tragen und uns von Zeit zu Zeit die Hände über einer Kerze wärmen. Dabei hat einmal mein Handschuh Feuer gefangen. Ich habe immer noch eine Brandnarbe an der linken Hand. Guck mal.» Trankow hielt mir den linken Handrücken vors Gesicht. Zwischen Daumen und Zeigefinger entdeckte ich einen unregelmäßig geformten roten Fleck von der Größe eines Fünfzig-Cent-Stücks.
    «Ich habe Schwein gehabt, dass es nicht schlimmer ausgegangen ist. Zum Glück stand eine Tasse Tee daneben.» Er prostete mir mit seinem Becher zu.
    «Wohnt deine Mutter noch in Workuta?»
    Trankow senkte den Blick, sein Gesicht verdüsterte sich. Die nächste Achillesferse.
    «Nein. Sie ist tot.»
    «Meine auch.»
    «Ich weiß. Dein Vater hat deine Mutter umgebracht. In gewisser Weise kann man dasselbe über meine Mutter sagen.»
    «Hat Paskewitsch sie ermorden lassen?»
    Trankow wandte sich ab und trat ans Fenster. Als die Schwäne die Bewegung wahrnahmen, flüchteten sie sich ans Wasser.
    «Es gibt viele Arten, jemanden zu töten. Man braucht dafür nicht unbedingt eine Waffe oder Gift. Aber genug von meiner Mutter. Bist du so weit, können wir weiterarbeiten?»
    Ich trank meinen Tee aus und fragte, ob sich hinter der zweiten Tür die Toilette befinde. Meine Tasche nahm ich mit. Als ich mich im Spiegel betrachtete, sah ich einen Glanz in meinen Augen, der mir nicht gefiel, der sich aber nicht dämpfen ließ.
    Trankow hatte bereits mit dem Malen begonnen, doch er unterbrach seine Arbeit, um mich wieder in die richtige Position zu dirigieren. Die kleinste Berührung erschien mir beklemmend, und als er mir aus dem Bademantel half, befahl mein Gehirn mir die sofortige Flucht. Ich gehorchte ihm jedoch nicht, sondern blieb reglos stehen. Trankow sagte zum Glück nichts. Pinsel in verschiedener Größe huschten über die Leinwand. Eine weitere Stunde verging im Nu, es war fast vier Uhr. Vom Meer kroch bereits die Dämmerung heran. Wie lange wollte Trankow mich hierbehalten? Ich hatte nicht einmal die Hälfte von dem erfahren, was ich ihm entlocken wollte. Zumindest über Syrjänens Geschäftstätigkeit wollte ich mehr wissen.
    Trankow malte noch eine halbe Stunde. Dann reckte er sich ausgiebig. Ich hatte Hunger. Natürlich hatte ich gelernt, dieses Gefühl zu unterdrücken, doch es schlug dann oft in Wut um. In meiner Tasche lagen immer zwei Energieriegel, mit denen würde ich jetzt vorliebnehmen müssen.
    «Du weißt also nicht, wo David Stahl ist?» Trankows Frage kam so überraschend, dass sie mich wie ein Schlag in die Magengrube traf.
    «Stahl hat mit alldem nichts zu tun.» Ich nahm meine Tasche und fischte einen der Riegel heraus. Dabei stieß meine Hand an das harte Leder des Pistolenhalfters. Rasch schloss ich die Tasche, wickelte den Riegel aus und biss ein großes Stück ab.
    «Hast du Hunger? Im Hauptgebäude gibt es Soljanka, die können wir aufwärmen. Machen wir eine Pause.»
    «Ich muss bald fort. Bring mich nach Kirkkonummi, von da kann ich den Zug nehmen.»
    «Aber zuerst isst du natürlich mit mir, und dann müssen wir ja auch noch den nächsten Termin vereinbaren. Du kannst dich jetzt anziehen», sagte Trankow, als mache er mir ein großes Zugeständnis.
    Natürlich war ich neugierig auf Usko Syrjänens derzeitiges Domizil. Das Hauptkontor seines Firmenkonglomerats befand sich irgendwo in Vantaa. Die fertige Soljanka erregte allerdings mein Misstrauen. Wer hatte sie gekocht – Trankow selbst? Doch ich beschloss, mich auf das Risiko einzulassen, und ging mich umziehen. Trankows Frage nach David nagte an mir. Was wusste Trankow über unsere Beziehung? Bei

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