Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
malen.»
«Ich möchte sehen, wie sich das Licht auf deiner Haut bricht. Das kann man sich nicht hundertprozentig ausdenken.»
Jetzt reichte es mir. Der Luchs würde der Kugel des Wilderers in letzter Sekunde ausweichen. Ich fragte mich, ob Trankow bewaffnet war. Unter dem weißen Malerkittel zeichnete sich kein Schulterhalfter ab.
«Ich hätte nicht gedacht, dass du so zimperlich bist. Nach dem, was in Bromarv passiert ist, hatte ich etwas ganz anderes vermutet. Du glaubst doch nicht etwa, du wärst die erste Frau, die ich nackt sehe?»
«Was weiß ich von deinen Frauengeschichten! Die interessieren mich nicht.» Ich nahm den Bademantel und ging in den Raum, in dem sich Trankow umgezogen hatte. Es handelte sich um eine Art Kombination aus Garderobe und Schlafkammer, mit einem eins zwanzig schmalen Bett und einem Kleiderständer. Trankows Anzug hing ordentlich auf einem Bügel. Ich durchsuchte die Taschen, fand aber nur eine zerknüllte Tankstellenquittung. Jaguar fahren war nicht billig.
Was befürchtete ich eigentlich von Trankow? Vielleicht wollte er mich wirklich nur malen, ganz ohne Hintergedanken? Nein, so naiv war ich nun doch nicht. Ich hatte ihn bewusstlos geschlagen und ihm die Frau, die er Paskewitsch hatte opfern wollen, weggeschnappt, wie eine in der Hierarchie höherstehende Katze einer untergeordneten die Maus wegnimmt.
Vor Nacktheit hatte ich keine Scheu. In New York hatte ich Marys Freunden Modell gesessen, und es hatte keinen Unterschied gemacht, ob ich ihnen nackt oder bekleidet unter die Augen trat. Was ich fürchtete, war die Verletzlichkeit, die sich mit dem Nacktsein verband, denn an meinem Körper konnte ich nichts verstecken. Dennoch zog ich mich bis auf den Slip aus und legte den Bademantel um. Ich nahm meine Kleider und meine Tasche mit, als ich ins Atelier zurückkehrte.
Trankow war dabei, den ausgestopften Luchs auf ein Holzgerüst zu setzen.
«Woher wusstest du übrigens, dass mir Luchse wichtig sind?», fragte ich. «Vor zwei Jahren hast du meiner Nachbarin ein Bild verkauft, das als Botschaft an mich gedacht war.»
«Damals, als sich Walentin an Anita Nuutinen rächen wollte, hat er sich über alles informiert, was sie betraf. Du erinnerst dich wohl an deinen Vorgänger Mika Siiskonen? Er hatte Pech, verletzte sich am Knöchel und konnte nicht mehr als Leibwächter arbeiten. Zum Glück hat Walentins Bruder Boris, der in Florida Geschäfte macht, ihm einen Job als Trainer in einem Fitness-Studio in Fort Lauderdale besorgt. Siiskonen hat das hiesige Mistwetter nur zu gern gegen ewigen Sonnenschein eingetauscht.»
«Und in Wahrheit ist sein Knöchel gar nicht kaputt?» Trankow hatte den Luchs aufgestellt, fasste mich an den Schultern und führte mich zu dem Tier.
«Na, ganz in Ordnung ist er auch nicht. Selbst der härteste Mann bricht zusammen, wenn man sein Bein mit einer Eisenstange traktiert. Mit dem Knöchel läuft er nicht mehr weit.»
«Und wer hat ihn wohl traktiert?», fragte ich, obwohl ich die Antwort eigentlich nicht hören wollte. Trankow lächelte nur.
«Das wird gut. Sehr gut. Nur schade, dass deine Haare so kurz sind. Sie sollten im Wind flattern. Aber ich kann sie ja einfach verlängern. Ich kann dich so malen, wie ich will.» Er nahm meine rechte Hand und ließ sie über das Luchsfell streichen. Es fühlte sich ganz und gar nicht so an wie Fridas Fell. Dieses Tier hatte keinen Namen gehabt, es war nur eins von vielen überfahrenen Tieren. In welcher Jahreszeit war es gestorben? Im Herbst und Winter streiften die ausgewachsenen Luchsmännchen allein umher, nur zu Beginn des Frühjahrs suchten sie Gesellschaft, um sich zu paaren.
«Siiskonen war sehr kooperativ. Er hat uns die Schlüssel zu Anita Nuutinens Haus in Lehtisaari besorgt. Im Zimmer der neuen Leibwächterin hing ein Luchsbild an der Wand. Da es in dem Zimmer ansonsten praktisch nichts Persönliches gab, hielt ich das für bedeutsam. Nebenbei bemerkt, war die neue Leibwächterin aufgeweckter als Siiskonen und ließ bald darauf sämtliche Schlösser und Überwachungskameras auswechseln. Natürlich haben wir auch von der Geschichte mit dem Pelzmantel in Moskau gehört. Walentin hatte seine Quellen. Wie sagt man so schön: Es ist ratsam, nicht alle Eier in denselben Korb zu legen.» Trankow nahm eine Tube und drückte Ölfarbe auf seine Palette. Man sah ihm an, dass er es nicht zum ersten Mal tat.
«Als wir dann erfuhren, was dein Nachname bedeutet, war der Rest ein Kinderspiel. Aber lass uns nicht
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