Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
der Eröffnung des Sans Nom hatte er behauptet, er könne mir Dinge über David erzählen, von denen weder ich noch Davids sogenannte Arbeitgeber etwas ahnten. Und die Hoffnung auf diese Informationsbröckchen hatte dazu geführt, dass ich nun leichtbekleidet in einem Umkleideraum am Ufer von Låndvik stand.
«Willst du es sehen? Es ist noch lange nicht fertig, aber einen Eindruck gewinnt man schon, denke ich.» Trankow zog mich am Arm vor die Staffelei.
Nun war der Luchs schon mehr als ein Schemen, auf dem Bild sah er lebendiger aus als das ausgestopfte Modell. Auch mein Körper war bereits weit gediehen. Um die Hüfte hing ein Blumenkranz, der den Schamhügel bedeckte, die Brüste waren zwar nackt, doch die Warzen sittsam flach. Mein Gesicht war, ebenso wie der Hintergrund, erst flüchtig skizziert. Dennoch hatte das Gemälde bereits eine Seele. Es wirkte weder drohend noch anrührend, sondern eher erhaben. Ich versuchte gar nicht erst zu ergründen, welche Motive Trankow bewogen hatten, dieses Bild zu malen. Aus purer Rachsucht hatte er mich wohl nicht zum Modell gewählt.
Ich spürte, dass ich irgendeinen Kommentar abgeben musste.
«Interessant. Ich weiß nur nicht recht, was du damit sagen willst.»
«Braucht Kunst eine Botschaft? Es ist ein Porträt. Genügt das nicht?»
Ich verzichtete auf Gegenargumente, schließlich war ich nur als Modell an diesem Bild beteiligt. Wortlos folgte ich Trankow nach draußen. Er verriegelte das Atelier mit derselben Fernbedienung, mit der er anschließend die Tür zum Hauptgebäude öffnete. Auch hier befand sich eine Überwachungskamera über der Haustür. Ich lächelte ins Objektiv. Trankow hängte meinen Mantel in einen Spiegelschrank in der Diele, die Tasche gab ich nicht aus der Hand. Auch dieses Haus lag zum Meer, und das größte Fenster im Wohnzimmer war wandbreit. Die Schwäne schwammen nun wieder in der Bucht. Am gegenüberliegenden Ufer entdeckte ich eine menschliche Gestalt, allem Anschein nach ein großer Mann, der ein Fernglas um den Hals trug. Als er im Zwielicht verschwand, lief es mir kalt den Rücken hinunter. Der Mann bewegte sich wie David. Aber es konnte doch nicht David sein, oder? Am liebsten hätte ich die Vorhänge zugezogen.
«Du wohnst also bei Syrjänen. Eine merkwürdig enge Beziehung, wenn man bedenkt, dass du sein architektonischer Berater bist und nicht sein Sekretär oder Leibwächter.»
«Das ist eine provisorische Lösung. Usko ist häufig auf Reisen, da habe ich ein Auge auf das Haus. Und wenn er nach Russland fährt, braucht er mich als Dolmetscher. Mit seinen Sprachkenntnissen ist es nicht weit her, er kann gerade mal ein bisschen Englisch. Deshalb gab es wohl auch mit Wasiljew kleine … Missverständnisse.»
«Wie bist du überhaupt an den Job gekommen?»
«Es hat sich so ergeben. Außerdem fühle ich mich in Finnland wohl. Hier hat man mehr Sicherheit als in Russland. In Finnland wird keiner ins Gefängnis geworfen oder vor der Haustür erschossen, nur weil er die Machthaber kritisiert.»
«Hier schlägt man einem nur mit einer Eisenstange den Knöchel zu Brei.»
Trankow wurde rot. «Dafür hat Siiskonen eine großzügige Entschädigung und ein Flugticket ins sonnige Kalifornien bekommen. Gehen wir essen, ich habe auch Hunger. Beim Malen vergisst man alles andere.»
In der Küche war der Tisch fertig gedeckt: Teller, Löffel und ein Brotkorb, über dem ein Tuch lag. Der Suppentopf stand auf dem Herd, den Trankow nun einschaltete. Das Keramikfeld glänzte vor Sauberkeit.
«Wer hat denn gekocht?»
«Ich … Na ja, eigentlich nicht. Ich habe die fertige Suppe in einem russischen Restaurant in Helsinki gekauft. Dich mag ich nicht belügen.»
Ich schaffte es, ein Kichern zu unterdrücken. Trankow war ein Multitalent: nicht nur Maler, sondern auch Schauspieler. Nur war mir die Handlung des Stücks nicht klar. Hauptsache, es wurde nicht zur Tragödie.
Trankow rührte die Suppe um. Dann fragte er, was ich trinken wollte. Mir hätte wieder Leitungswasser genügt, doch er bestand darauf, mir Mineralwasser zu servieren.
«Es ist noch Wein da», sagte er, aber ich lehnte ab. Ich behielt Trankow unablässig im Auge. Die Taschen seines Malerkittels schienen leer zu sein, doch um ganz sicherzugehen, hätte ich sie abklopfen müssen. Jedenfalls würde ich ihn als Ersten von der Suppe essen lassen. Ich spähte in den Brotkorb. Russisches Brot, fertig geschnitten. Sicherheitshalber vertauschte ich einige Scheiben. Falls Trankow merkte,
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