Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
werden würde. Das einzige Spannungselement in meinem Leben war Juri Trankow. In Wahrheit reichte mir das nicht.
Ich dachte wieder über Kari Suurluotos Worte nach, Keijo sei zweimal aus dem Gefängnis ausgebrochen. Warum hatte man mir das nicht mitgeteilt? Mein Vater hatte allerdings das Sorgerecht verloren, als er ins Gefängnis kam, und seit ich volljährig war, hätte er ohnehin keine Rechte mehr über mich gehabt. Ich war eine Fremde, die lediglich zur Hälfte dieselben Gene besaß wie er.
Da es in der Wohnung den Luxus einer Badewanne gab, gönnte ich mir ein heißes Bad. Monika hatte erzählt, ihr umweltbewusster Vetter habe die Wanne nie benutzt, aber ich machte mir keine Gedanken über aussterbende Eisbären, sondern ließ das Wasser einlaufen. Dabei überlegte ich, wie schmutzig ich mich fühlen würde, wenn ich mit Trankow ins Bett gegangen wäre. Bisher hatte ich meine sexuellen Triebe nie unterdrückt und niemandem Treue geschworen, auch David nicht, der das im Übrigen auch gar nicht verlangt hatte. Aber Trankow war nicht das richtige Mittel gegen die seelische Leere, die mich noch stärker plagte als die körperliche.
Ich trug in Gedanken alles zusammen, was ich über David wusste. Er hatte lange für Europol gearbeitet und sich auf Energiefragen spezialisiert. Dabei hatte er sich nie an die Regeln gehalten. Nach der Explosion auf der Yacht
I believe
waren drei Monate vergangen, bevor er mir mitgeteilt hatte, dass er am Leben geblieben war. Er hatte behauptet, so lange gebraucht zu haben, um sich von den Erfrierungen zu erholen, die er sich im eiskalten Wasser zugezogen hatte, und mich gebeten, um meiner eigenen Sicherheit willen nicht zu viele Fragen zu stellen.
Ich fand keinen Grund, weshalb Trankows Behauptungen über David nicht der Wahrheit entsprechen sollten. Es war durchaus möglich, dass sich David Stahl auf die Seite der Kriminellen geschlagen hatte, erst recht, wenn ihm seine ehemaligen Chefs mit einer Gefängnisstrafe gedroht hatten. Es war ihm immer schon schwergefallen, Autoritäten anzuerkennen, so viel hatte er mir immerhin verraten.
«Klare Befehlsstrukturen erleichtern unsere Arbeit. Rebelliert nicht nur um der Rebellion willen gegen eure Vorgesetzten. Mitunter muss man seinen Stolz hinunterschlucken und sich fügen. Man muss lernen, einzuschätzen, was wichtig ist.» Mike Virtues ruhige, tiefe Stimme klang mir in den Ohren, als ich heißes Wasser nachlaufen ließ. Ach, Mike. Du hättest David Stahl wohl nicht an der Sicherheitsakademie Queens aufgenommen. Geld allein reichte dafür nicht, wir hatten uns auch einem Eignungstest unterziehen müssen. Ich war mit dem billigsten Ticket über Stockholm und Amsterdam nach New York geflogen und hatte drei Nächte in einem Ein-Sterne-Hostel in der schäbigsten Ecke von Queens verbracht. Beim Interview, das zeitweise einem Verhör glich, war ich nach meiner Herkunft ausgefragt worden, und ich war überzeugt gewesen, dass die Untat meines Vaters meine Aufnahme verhindern würde. Ich erinnerte mich, wie heftig mein Puls geklopft hatte, als ich im Flur der Akademie wartete, bis ich aufgerufen wurde. Ich wusste nicht, wie viele Bewerber es gab, aber es sollten jedenfalls nur zwanzig aufgenommen werden. Der junge Afroamerikaner, der vor mir an der Reihe war, kam mit verbissener Miene aus Mike Virtues Zimmer und versetzte der Wand einen Fußtritt, als er ging. Man sah sofort, dass er seine Nerven nicht unter Kontrolle hatte und sich deshalb nicht zum Leibwächter eignete. Mike erwartete mich an seinem Schreibtisch, auf dem ein hoher Papierstapel lag. Unsere Antworten auf den Eignungstest, den er selbst erarbeitet hatte.
«Bitte, nimm Platz», sagte er. Ich kannte die Floskel aus dem Englischunterricht, doch er sprach sie ganz anders aus als meine Lehrerin in Outokumpu. Ich wäre lieber stehen geblieben, damit ich nach dem Verdikt schneller verschwinden und meine Enttäuschung vor Mike verbergen konnte.
«Finnen hatte ich bisher noch nie in meinem Kurs. Vor ein paar Jahren war ein Däne dabei, aber Dänen und Finnen sind wohl ziemlich verschieden voneinander. Gleicht ihr Finnen eher den Russen?»
Es kam mir vor, als hinge mein Schicksal von meiner Antwort ab.
«Eigentlich gleichen wir keinem so richtig. Wir sind daran gewöhnt, zwischen den Lagern zu stehen. Unser Nationaldichter Runeberg hat gesagt, Schweden sind wir nicht, Russen wollen wir nicht werden, lasst uns also Finnen sein.»
«Interessant. Jedenfalls bist du die erste Finnin an
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