Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
gespeist hatte. Die Quittung aus Davids Manteltasche hatte ich mitgenommen, vielleicht würde sie dem Kellner helfen, sich zu erinnern.
Weitere Gäste kamen herein, zwei Frauen jenseits der fünfzig, mit einem mittelgroßen, honigfarbenen Hund. Auch Monika hätte in ihrem Restaurant gern Hunde zugelassen, doch das Amt für Lebensmittelüberwachung war dagegen gewesen. Die Frauen nahmen ebenfalls in meiner Nähe Platz; sie sprachen Italienisch miteinander. Der Hund rollte sich zu ihren Füßen zusammen. Die eine Frau war klein und grauhaarig und strahlte Kraft aus, aus den Augen der anderen strahlte jugendliche Neugier. Ich verschlang meine Pasta und überlegte, ob ich den Kellner auf David ansprechen sollte, wenn er den Teller abräumte. Wie viel Englisch verstanden die anderen Gäste?
Als sich der Kellner meinem Tisch näherte, stand der Hund auf, reckte sich und kam vorsichtig zu mir herüber. Ich streckte ihm die Hand hin. Er war kein Luchs, aber er schien Charakter zu haben. Der Hund schnupperte an meinen Schuhen und ließ sich hinter den Ohren kraulen. Sein Fell war seidiger als ein Luchspelz.
«Bei Fuß, Nikuzza», sagte die größere Frau auf Finnisch. Vor Überraschung schnappte ich nach Luft, dann wandte ich rasch den Blick von der Frau ab und versuchte meine Reaktion zu überspielen. Konnte es ein Zufall sein, dass ich hier in dieser gottverlassenen Gegend einer Finnin begegnete? War diese Frau womöglich Davids Begleiterin gewesen? Wenn ja, wer war sie?
Der Kellner machte eine Bemerkung über den Hund, die den beiden Frauen einen Redeschwall entlockte. Offenbar waren Hunde in den Innenräumen nicht willkommen. Die größere Frau stand auf und rief dem Tier einen Befehl zu, diesmal auf Italienisch. Hatte ich mir nur eingebildet, Finnisch gehört zu haben? Sie ging mit dem Hund hinaus. Der Kellner trat an meinen Tisch, um mir Wasser nachzuschenken, und lächelte unbefangen. Sollte ich es wagen, ihm meine Frage zu stellen, obwohl am Nebentisch möglicherweise Finninnen saßen? Während meiner zweijährigen Ausbildung an der Sicherheitsakademie Queens in New York hatte mein Englisch den schlimmsten savokarelischen Akzent verloren. Aber wenn man genauer hinhörte, nahm man immer noch einen finnischen Beiklang wahr. In den italienischen Worten der Hundebesitzerin hatte ich zwar keinen Akzent festgestellt, aber Italienisch war nicht meine stärkste Sprache.
Ich versuchte mich zu erinnern, wie unser Lehrer Mike Virtue, der Gründer und Leiter der Sicherheitsakademie Queens, gesprochen hatte. Ein amerikanischer Akzent verriet nichts über die Nationalität des Sprechers, viele schnappten ihn durch Popsongs und unsynchronisierte Filme auf. Als ich mein Steak bekam, zog ich Davids Rechnung aus der Tasche und fragte den Kellner, ob er sich an einen zwei Meter großen Mann mit schwarzen Haaren und schwarzem Bart erinnerte, der vor etwa zwei Wochen hier gegessen hatte.
Die Miene des Kellners war vielsagend: wieder eine dieser Eifersuchtsgeschichten. Es tue ihm leid, Signora, aber an dem fraglichen Abend habe er nicht im Restaurant gearbeitet. Luigi habe Dienst gehabt, außerdem achte er nicht auf Männer, er erinnere sich nur an entzückende Frauen wie mich. Ich überlegte, ob ich ihm Geld zustecken sollte. Würden zwanzig Euro genügen? Doch dann zog ich es vor, mich meinem Steak zu widmen. Ich glaubte nicht, dass dieser Luigi überhaupt existierte, denn Restaurants dieser Art waren Familienbetriebe, wo Vater und Mutter in der Küche arbeiteten und der Nachwuchs für die Bedienung zuständig war. Allerdings konnte Luigi natürlich der Bruder des Kellners sein.
Mein Handy flackerte, ich hatte eine SMS bekommen. Nicht von David, sondern von meiner ehemaligen Mitbewohnerin Riikka, die mich bat, mir den ersten Samstag im September freizuhalten, weil sie dann heiraten würde. Ein altes Lied ging mir durch den Kopf: «Mein Begräbnis, deine Hochzeit». Ich war in meinem ganzen Leben erst einmal auf einer Hochzeit gewesen, als Leibwächterin, aber Beerdigungen hatte ich umso öfter miterlebt.
Die Frauen am Nebentisch aßen ihre Pasta. Ich überlegte, ob ich ihnen den Knochen von meinem Steak für den Hund anbieten sollte, wagte aber nicht, die beiden anzusprechen, aus Furcht, sie könnten mich als Finnin erkennen. Der Kellner fragte, ob ich Kaffee wolle, doch ich lehnte ab und bat um die Rechnung. Mein Hunger war schon nach der Pasta gestillt gewesen. Ich zahlte und legte ein bescheidenes Trinkgeld auf den Tisch, dann
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