Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
ging ich hinaus in den dunklen Abend. Es hatte angefangen zu nieseln, der Wind spielte mit dem Saum meines offenen Mantels. Als ich den Wagen aufschloss, hörte ich hinter mir einen Ruf.
«
Signora
, warten Sie! Luigi hat gerade angerufen.» Der Kellner war mir nachgeeilt und stand unter dem kleinen Terrassendach im Schutz der Zypressen. «Luigi erinnert sich an den Mann mit dem schwarzen Bart. Oder eher an seinen Begleiter. Das war kein netter Mensch. Er war sicher Russe oder so etwas, denn seine Sprache klang russisch, und am Hals trug er das Kreuz der Griechisch-Katholischen.» Der Kellner zuckte verächtlich mit den Schultern. «Er konnte keine andere Sprache, nicht einmal Englisch, aber das Wort für Trüffel kannte er, wollte
tartufo, tartufo
. Er hat sich die fünf kleinen Antipasti nicht auf der Zunge zergehen lassen, sondern hinuntergeschlungen. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen, Ihr Mann war nicht mit einer schönen Frau hier, sondern mit einem ungehobelten Russen.»
Im Halbdunkel konnte ich das Lächeln des Kellners gerade noch erkennen. Er schüttelte den Kopf, als ich nach dem Portemonnaie griff.
«Ich will kein Geld. Und Luigi auch nicht», fügte er hastig hinzu. «Wir möchten nur, dass die Signora lächelt.»
Ich zwang eine Art Lächeln auf meine Lippen, obwohl es nicht unbedingt erfreulich war, dass David mit einem widerwärtigen Russen im Il tre cantoni gespeist hatte. Dann fragte ich: «War dieser Russe auch zu meinem Mann unfreundlich? Wie standen sie zueinander?»
«An dem Abend herrschte Hochbetrieb, deshalb hatte Luigi kaum Zeit, sie zu beobachten. Viele Tische waren besetzt, anders als heute. Gelacht haben sie jedenfalls nicht. Sie haben diese zischelnde Sprache gesprochen. Ich erinnere mich … das heißt, Luigi erinnert sich, dass Ihr Mann mehrmals
njet, njet
gesagt hat. Das Wort verstehen auch hier alle.»
Ich bedankte mich, und der Kellner sagte, er würde sich freuen, wenn ich einmal wiederkäme. Dann eilte er zurück an seine Arbeit. Der honigfarbene Hund saß bellend in einem dunkelblauen Ford. Der Nieselregen hatte meine Haare angefeuchtet und drang in die Stoffschuhe ein. Die Autofenster waren beschlagen. Was hatte den Kellner zum Umdenken bewogen? War die Geschichte, die er mir erzählt hatte, seine eigene Erfindung, oder hatte sie ihm jemand eingeflüstert? Ein garstiger Russe, das klang wie ein Klischee aus einem Agententhriller. War David vor diesem Mann geflohen – oder mit ihm?
Ich war in eine Welt zurückgekehrt, in der man niemandem trauen konnte. Ich hatte mir eingebildet, David sei einer der wenigen, die mich nicht hintergehen würden, doch ich hatte mich geirrt. Nun war ich allein in einem fremden Land, dessen Sprache ich kaum beherrschte. Was hatte Mike Virtue uns über die verschiedenen Zweige der italienischen Mafia erzählt? Einige von ihnen trieben mit der russischen Mafia rege Zusammenarbeit, die wohl auch auf höchster Ebene abgesegnet war, so blendend wie Berlusconi und Putin sich verstanden. David hatte mir weisgemacht, er sei in die Toskana gefahren, weil sie die richtige Kulisse für seine Rolle als Möchtegern-Schriftsteller war. Allmählich ging mir auf, dass ich die ganze Zeit nichts anderes gesehen hatte als Kulissen.
Obwohl ich von klein auf an Dunkelheit gewöhnt war, strengte es mich an, im mittlerweile heftig strömenden Regen auf unbekannten Straßen durch die Finsternis zu fahren. Ich nahm die Kurven übervorsichtig, weil ich der Bodenhaftung der Reifen an meinem alten Punto nicht restlos traute. Außer mir war kaum jemand unterwegs. Die perfekte Szenerie für einen fingierten Unfall ohne Augenzeugen.
Doch ich gelangte unversehrt nach Montemassi. Inzwischen regnete es so stark, dass ich so nahe wie möglich am Haus parkte. Als ich ausstieg, zuckte ich zusammen. Durch das Küchenfenster fiel Licht. War David zurückgekommen? Auch in meinem Innern schien plötzlich Licht anzugehen. Ich lief zur Tür, schloss sie auf und rief:
«Hallo, David! Ich bin’s. Wo warst du?»
Keine Antwort. In der Küche brannte Licht, doch sie war leer. Auf der Spüle stand kein Geschirr. Ich warf einen Blick in den Kühlschrank, dessen spärlicher Inhalt exakt an derselben Stelle lag wie vorher.
Hatte ich selbst das Licht angelassen? Nein, ich erinnerte mich ganz genau, dass ich es gar nicht eingeschaltet hatte, denn bei meiner Abfahrt war es noch hell gewesen. Erneut rief ich nach David. Ich sah auf der Toilette nach, auch dort war er nicht.
Ich
Weitere Kostenlose Bücher