Der Löwe
bemerkenswert gut aus, wenn man bedachte, dass sie an der Schwelle zum Tod gestanden hatte, doch der behandelnde Arzt wollte das Beatmungsgerät angeschaltet lassen, deshalb konnte sie noch nicht sprechen, aber sie schrieb mir Nachrichten. Eine lautete: Mach Khalil ausfindig, bevor er dich ausfindig macht.
»Das werde ich«, versicherte ich ihr.
Tatsächlich aber war nicht ich, wie erwartet, sein nächstes Ziel gewesen. Vince Paresi hatte mich gestern Nachmittag angerufen und mir die Nachricht von Gabe Haythams Tod sowie dem seiner Frau und Tochter überbracht. Der Tod eines Kollegen samt seiner Familie und noch dazu in seinem eigenen Haus hatte diesen Fall völlig verändert, denn jetzt ging es nicht mehr um den versuchten Mord an einer Bundesagentin, sondern um … nun ja, etwas ganz anderes. Ich würde nicht sagen,
dass aus Jägern Gejagte wurden, aber es sah mit Sicherheit so aus.
Ich kannte Gabe, mochte und achtete ihn, und er hatte mir sehr geholfen, als Asad Khalil das letzte Mal in der Stadt war. Ich nehme an, Khalil wusste das – es sei denn, er hatte lediglich erfahren, dass ein Amerikaner arabischer Abstammung bei der Task Force arbeitete, und war zu dem Schluss gekommen, dass Gabe Haytham ein Verräter war und deshalb den Tod verdiente. Aber warum hatte er Gabes Frau und Tochter umgebracht? Weil sie zufällig daheim waren? Nein, Khalil hatte es so geplant. In seiner Welt gab es keine unschuldigen Zivilisten. Jedenfalls hatte mir Paresi mitgeteilt, dass die Spurensicherung davon ausgehe, dass Gabe sich gewehrt habe. Gut so, Gabe.
Ich nehme an, ich könnte mir die Schuld daran geben, dass ich nicht früher an Gabe Haytham gedacht hatte … und als es mir dann einfiel, hätte ich Paresi vielleicht mehr Druck machen sollen. Aber ich wollte mich nicht damit herumschlagen; ich wollte Asad Khalil finden und ihm seine gerechte Strafe zukommen lassen.
Jedenfalls erzählte ich Kate nichts von der Ermordung der Familie Haytham. Ich würde es irgendwann tun, aber nicht jetzt.
Kate schrieb mir eine Notiz. Wie geht es dir?
»Gut«, erwiderte ich. »Ich bin bloß ein bisschen traurig, weil wir die beiden weiteren Sprünge verpasst haben.«
Ich möchte wieder springen , schrieb sie.
»Großartig.« Aber das nächste Mal lassen wir den libyschen Terroristen daheim. Ich fragte mich, ob wir Craig verklagen konnten, weil er Asad Khalil in den Club gelassen hatte.
Eine andere Schwester kam, um Kates Monitore, die Infusionen und was sonst noch alles zu überprüfen, und ich nutzte die Zeit, um über diesen Fall nachzudenken.
Was die Berichterstattung über die Ermordung der Familie Haytham anging, ermittelte das NYPD nach Aussage von Paresi
auf Anweisung des Justizministeriums hin wegen eines Einbruchsfalls durch einen oder mehrere Unbekannte, wobei das Motiv ebenfalls unbekannt sei. Damit könnten wir etwa eine Woche durchkommen, bis die Presse einen Hinweis bekam oder neugierig wurde. Oder bis der nächste Bundesagent tot aufgefunden wurde. Ich zum Beispiel.
Da ich allerdings bei einer Bundespolizeibehörde bin, ließe sich ein bisschen leichter mauscheln – die Presse im Dunkeln lassen und ihr irgendwelchen Scheiß vorsetzen –, wenn es um die nationale Sicherheit ginge. Außerdem hatten die FBIler seit 9/11 aufgrund des Patriot Act und anderer, weniger bekannter Gesetze Vollmachten erhalten, die fast auf Kriegsrecht hinausliefen. Und dazu hatte sich, von der Gesetzgebung einmal abgesehen, auch die Haltung des Justizministeriums verändert, und die Leute im Außendienst, die die eigentliche Arbeit machten, waren im Umgang mit den Medien aggressiver und zugeknöpfter geworden.
Was die Berichterstattung anging, ließ sich der Vorfall hier im Sullivan County ziemlich einfach handhaben. Erstens war es mitten in der Pampa passiert, und zweitens sah es für Zeugen wie der Angriff eines Psychotikers aus – was es genau genommen auch war. Was das Opfer betraf, so wurde sein Name von den Behörden zurückgehalten. Ende der Presseverlautbarung.
Zum Thema Weiterleiten und Verbreiten von Informationen erklärte ich Kate, dass ich ihre Eltern anrufen und ihnen mitteilen würde, was passiert war, natürlich ohne sie zu beunruhigen. Irgend so was wie »Hi, Mr und Mrs Mayfield, ein islamischer Terrorist hat Ihrer Tochter die Kehle durchgeschnitten, aber jetzt geht’s ihr wieder gut«.
Kate schrieb mir in ihrer gestochenen Handschrift: Nein, ich rufe sie an, wenn ich diesen Scheißschlauch im Schlund los
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