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Der Löwe

Der Löwe

Titel: Der Löwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson DeMille
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Mineralwasser und redeten lächelnd miteinander. Khalil hatte solche Männer auch in Europa gesehen, aber
noch nie in Libyen oder irgendwo anders in der islamischen Welt.
    Trotz der Jahre, die er in Europa verbracht hatte, und seines kurzen Aufenthalts in Amerika hatte er sich nicht an dieses öffentliche Zurschaustellen von Zuneigung oder nackter Haut gewöhnt, an den lockeren Umgang von Männern mit Frauen – oder von Männern oder Frauen untereinander. Das war nicht gottgefällig, und er fragte sich, wie diese zügellosen Menschen weiterhin reich und mächtig bleiben wollten. Und dann dachte er wieder an die Römer. Ein Führer im römischen Museum in Tripolis hatte gesagt: »Sie haben den mühsam erworbenen Reichtum ihrer Vorväter verprasst und wie Maden im verfaulenden Leichnam ihres Imperiums gelebt.«
    Ja, dachte Khalil, und als sie keine tüchtigen Männer mehr für ihre Legionen oder die Verwaltung ihres Imperiums finden konnten, bezahlten sie Barbaren dafür. Und dann ging ihnen das Gold aus.
    Er öffnete eine Tüte Erdnüsse, die er bei dem Straßenhändler gekauft hatte, knackte eine nach der anderen, und ihm wurde klar, dass er seit Anbruch der Dämmerung nichts mehr gegessen hatte. Bald versammelten sich Tauben, und er warf ihnen ein paar Nüsse zu, um die sie sich aufgeregt stritten. Er betrachtete sie, während sie sich um das Futter balgten, und stellte fest, dass einige aggressiver waren als die anderen und einige sich einfach zurückhielten und nicht einmal den Versuch unternahmen, ihrerseits auch etwas zu ergattern. Er warf ihnen noch mehr Nüsse zu, diesmal mitsamt der Schale, und stellte fest, dass die Vögel wussten, was sie tun mussten, um an die Nüsse zu gelangen, und auf die Schalen einhackten – aber sie legten ihre Köpfe weiterhin von einer Seite zur anderen und hielten Ausschau nach Nüssen, die bereits geschält waren. Auch ihre Vögel sind faul . Er lächelte.
    Nicht weit von seinem Sitzplatz entfernt war die Wall Street,
das Zentrum der amerikanischen Finanzmacht. Unter den Dschihadisten wurde viel darüber debattiert, ob man die Straße als Ziel eines künftigen Anschlags auswählen sollte. Einige sagten, es sei notwendig, weil es die amerikanische Wirtschaft lahmlegen würde. Andere sagten, wenn man die Wall Street ungeschoren ließe, würde das der amerikanischen Wirtschaft mehr Schaden zufügen als Hunderte von Bomben. Und wiederum andere sagten, sie werde bald von allein zusammenbrechen. Khalil stimmte letzterer Einschätzung zu. Die Nüsse gingen zur Neige.
    Er holte sein Fernglas aus der Tasche und blickte über die Bucht hinweg zu der grünen Statue, die im Wasser zu stehen schien. Das, so wusste er, war das vielleicht symbolträchtigste Wahrzeichen Amerikas, das bekannteste und repräsentativste Monument für all das, was man mit dem amerikanischen Traum und der amerikanischen Verheißung verband. Und man hatte ihm gesagt, dass alle Amerikaner, ungeachtet ihrer politischen Einstellung, Herkunft oder ihres gesellschaftlichen Ranges, diese Statue verehrten. Demnach könnte sie das Ziel sein, das man ihm in Kürze bekanntgeben würde.
    Er starrte weiter auf die grüne Statue – diese Frau im wallenden Gewand, die eine Fackel in der Hand hatte – und sah sie von ihrem steinernen Sockel stürzen und mit dem Gesicht voraus ins Wasser fallen. Ja, das wäre ein passender Abschied, eine bleibende Erinnerung an seinen Besuch und ein wahrhaft eindrucksvolles Bild, das vom Fernsehen in alle Welt gesendet werden würde.
    Er senkte das Fernglas und streckte eine offene Hand voller Nüsse aus, worauf sich eine der Tauben vorsichtig näherte. Als der Vogel eine Nuss aufpickte, schlang Khalil die Hand um den Kopf der Taube und zerquetschte ihren Hals.

FÜNFTER TEIL
New York City

20
    I ch schlief auf dem Sessel in Kates Zimmer, und bei Anbruch der Morgendämmerung ging ich hinaus zum Parkplatz, fand meinen Jeep und holte mir ein paar Kleidungsstücke aus meinem Gepäck. Anschließend zog ich mich auf der Intensivstation um, setzte mich an Kates Bett und betrachtete sie im Schlaf. Eine Schwester kam herein, um einen Blick auf ihr Krankenblatt zu werfen, und ich bat sie, meinen blutbefleckten Springeroverall in eine Plastiktüte zu stecken und den Staatspolizisten zu geben, die ihn wahrscheinlich gern als Beweismittel hätten. Vielleicht auch nicht, ich jedenfalls wollte ihn auch nicht und würde hoffentlich mein Leben lang nie wieder einen anderen brauchen.
    Kate wachte auf und sah

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