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Der Löwe

Der Löwe

Titel: Der Löwe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson DeMille
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und betete stumm, und Khalil hatte keinerlei Zweifel, dass sie nicht nur für die Toten, sondern auch für ihre Feinde beteten und Gott darum baten, ihnen zu vergeben. Und das war gut, fand Khalil; es war der erste Schritt zum Sieg ihrer Feinde. Die Römer waren Christen geworden und hatten mehr gebetet, als gekämpft, und auch sie hatten das bekommen, was sie verdient hatten.
    Die Sonne stand im Westen und schien auf die überdachten Laufstege und die Gesichter der Menschen, die teils Trauernde, teils Neugierige waren. Manche von ihnen, dachte Khalil, verstanden nicht, was ihnen widerfahren war, und einigen dämmerte nur dunkel, warum es dazu gekommen war. Die meisten von ihnen, dessen war er sich gewiss, betrachteten dieses Ereignis als einen Einzelfall ohne Zusammenhang oder Bedeutung. Die Amerikaner lebten in der Gegenwart, ohne Geschichte und daher auch ohne Prophezeiungen. Ihre Unwissenheit und Überheblichkeit, ihr Hang zur Bequemlichkeit und ihr Ungehorsam gegenüber Gott waren ihre größte Schwäche. Der Augenblick, in dem sie lebten, würde vergehen, und es gab keine Zukunft für sie.

    Sirenengeheul riss ihn aus seinen Gedanken. Er warf einen Blick zur Church Street und sah zwei Polizeiwagen mit blinkenden Lichtern in Richtung Murray Street rasen. Er nahm an, dass sie auf einen Anruf wegen eines toten Taxifahrers reagierten. Oder vielleicht war er gar nicht tot. Aber selbst wenn Amir überlebt haben sollte, würde er weniger wissen, als die Polizei mittlerweile selbst wusste.
    Allerdings konnte Amir angeben, wie Khalil gekleidet war und dass er jetzt vermutlich auf der Aussichtsplattform am World Trade Center stand. Vielleicht wurde es Zeit, dass er diesen Ort verließ.
    Khalil sprach ein stummes Gebet für die Märtyrer und beendete es mit seinem Lieblingsvers aus einem alten arabischen Kriegslied: »Allein ritt der Schreckliche mit seinem Krummschwert. Schmuck und Zierrat trug er nicht, nur die Kerben an der Klinge.«

19
    A sad Khalil saß allein auf einer Bank im Battery Park, der seines Wissens so hieß, weil hier, an der Südspitze von Manhattan, einst Befestigungsanlagen mit Artilleriebatterien zum Schutz der Stadt gestanden hatten. Jetzt war es ein schöner Park mit Blick auf die Bucht, und der Feind war bereits in der Stadt.
    Er öffnete eine Wasserflasche, die er bei einem Straßenhändler gekauft hatte, und trank einen großen Schluck, dann nahm er etwas Wasser und wischte sich damit Amirs Blut von der rechten Hand. Den restlichen Inhalt der Flasche hob er sich für später auf. Er verstaute sie in der Tasche und holte die Handys der beiden toten Bundesagenten heraus. Er schaltete sie ein und sah, dass sie noch in Betrieb waren, was ihn überraschte. Möglicherweise hatte die Polizei oder das FBI noch nicht bemerkt, dass die Telefone abhandengekommen waren. Die Amerikaner machten sich nach echter Cowboyart immer zuerst Sorgen um die Schusswaffen.
    Er rief die SMS auf Haythams Handy ab und sah, dass eine neue Nachricht eingegangen war, die von PARESI, CAPT., ATTF/NYPD, stammte. Das war, wie er wusste, Coreys Vorgesetzter. Khalil las die Nachricht und sah, dass es sich um einen kurzen Befehl handelte, der die Detectives der Polizei zum Dienst zitierte und anwies, mit der Überwachung der Muslime in der Stadt zu beginnen, MIT BESONDERER BETONUNG AUF DIE LIBYER.
    Das war zu erwarten gewesen und beunruhigte ihn nicht weiter. Nicht alle seine möglichen Kontaktpersonen in Amerika
waren Libyer; seine Freunde von al-Qaida stammten auch aus anderen islamischen Ländern. Seine einzigen libyschen Kontaktpersonen waren bislang Farid in Kalifornien und Amir hier in New York gewesen, und beide waren jetzt im Paradies, wo sie von den Amerikanern nicht überwacht werden konnten.
    Da ansonsten keine weiteren Nachrichten auf Haythams Handy waren, stellte er es aus. Dann rief er die Mitteilungen auf Mayfields Telefon ab und sah, dass eine neue SMS von Walsh eingegangen war. Sie lautete: AN ALLE FBI-AGENTEN UND DETECTIVES DES NYPD: ZWEI LIBYSCHE INFORMANTEN IN NYC HABEN SICH MIT INFOS ZU VERDÄCHTIGEM KHALIL IN CONUS GEMELDET. SICHTEN SIE E-MAIL WEGEN DETAILS UND EINSATZANWEISUNGEN BZGL FESTNAHME DES VERDÄCHTIGEN. WALSH, VSA, ATTF/NY.
    Er stellte Mayfields Telefon ab und dachte darüber nach. Wenn diese SMS der Wahrheit entsprach, könnte er Schwierigkeiten bekommen. Dann wusste er nicht mehr, wem er trauen konnte. Aber wenn diese Mitteilung von Walsh an alle Agenten und Detectives geschickt worden war, hätte

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