Der Löwe
konnte. Boris sollte dazu ein, zwei Ideen haben. Allerdings würde er mir wahrscheinlich raten: »Machen Sie vorher Ihr Testament.«
Und wenn Boris nicht tot war, gäbe er außerdem einen guten Köder ab. Lieber er als ich. Stimmt’s?
Genau genommen gab es jede Menge Köder für den Löwen – mich, Boris, George Foster und wahrscheinlich noch andere Leute, von denen wir noch nichts wussten. Dazu noch Kate, falls Khalil herausfand, dass sie am Leben war.
Und natürlich war da noch Chip Wiggins, pensionierter
Offizier der US Air Force, dessen Bombardement auf Libyen diese unselige Kette von Ereignissen ausgelöst hatte. Ich war mir allerdings ziemlich sicher, dass Chip Wiggins mittlerweile mit Asad Khalil zusammengetroffen und damit von seinem unvermeidlichen Schicksal ereilt worden war. Was er heute nicht umbringt, bringt er morgen um. Ich war davon überzeugt, dass ich bei dieser Besprechung die Ergebnisse unserer Suche nach Wiggins erfahren würde.
Ich öffnete die Flurtür mit meinem Passiercode, und als ich zu Tom Walshs Büro ging, dachte ich darüber nach, ob ich bei dieser Besprechung vergessen sollte, Boris zu erwähnen. Ich meine, das FBI macht das bei mir auch so. Stimmt’s? Zum Beispiel bei dem iranischen Diplomaten, der nach Atlantic City gefahren war. Wie du mir, so ich dir.
25
K athy, Tom Walshs Sekretärin, begrüßte mich und sagte: »Mr Walsh wird in Kürze da sein. Gehen Sie schon mal hinein und nehmen Sie Platz.«
»Danke.« Ich vergaß das Protokoll und fragte sie: »Wo ist er?«
Sie zögerte, dann sagte sie: »Auf der anderen Straßenseite.«
Was so viel wie Broadway 290 hieß und möglicherweise die CIA.
Ich ging in Walshs Eckzimmerbüro, wo Captain Paresi gegenüber von Special Agent George Foster vom FBI an dem runden Konferenztisch saß. Sie wirkten grimmig. Außerdem fiel mir auf, dass Wasserflaschen auf dem Tisch standen – eine lange Sitzung –, aber keine Notizblocks zu sehen waren. Nichts verlässt diesen Raum.
Ich schüttelte beiden Männern die Hand, und George fragte: »Wie geht’s Kate?«
»Sie ruht sich aus, danke.«
»Diese Sache ist unglaublich«, stellte er fest.
»George, Sie wissen doch besser als jeder andere, dass es nicht unglaublich ist«, erwiderte ich.
Er nickte.
George war bei der Besprechung zugegen, weil er vor drei Jahren bei den Vorfällen am JFK dabei gewesen war, und nach der üblichen FBI-Methode hatte er den Fall Khalil nun ein Leben lang am Hals, der ihm hoffentlich nicht von dem zuvor schon erwähnten Arschloch durchschnitten wurde. Und wie schon gesagt, gehörte George dem spontan aufgestellten Löwenjägerteam
um mich, Kate und Gabe Haytham, unserem sachkundigen Araber, an.
Ich wechselte ein paar Worte mit Captain Paresi, und er war ein bisschen kühl, was wiederum hieß, dass sein Boss, Tom Walsh, den Umgangston in Bezug auf John Corey vorgegeben hatte. Dass meine Frau fast gestorben wäre, spielte keine Rolle – jetzt ging’s ihr wieder gut. Und dass ich vor nicht allzu langer Zeit die Welt vor einer atomaren Krise gerettet hatte – nun ja, wie wir hier gern sagen, was haben Sie in letzter Zeit für uns getan?
Ich sagte zu Paresi: »Ich werde nicht von diesem Fall abgezogen. «
Er ging nicht direkt darauf ein, sagte aber: »Wir wissen Ihr Engagement und Ihre Erfahrung mit dem Verdächtigen zu schätzen.«
»Blödsinn«, erwiderte ich, um meinerseits den Umgangston vorzugeben.
Ich ging zu einem der großen Fenster. Walshs Eckzimmerbüro weist in Richtung Süden, und vom 28. Stock aus konnte ich den Großteil von Lower Manhattan sehen. Im Südosten war die Zentrale des NYPD, alias One Police Plaza, ein hohes, festungsartiges Gebäude aus roten Ziegeln, in dem ich vor vielen Jahren kurz gearbeitet hatte und das mich noch verrückter gemacht hatte, als ich bereits war. Aber ich hatte dabei gelernt, wie es in der Zentrale läuft, und das war hilfreich gewesen für Federal Plaza 26.
Weiter östlich war die Brooklyn Bridge, die den East River überspannte und Manhattan mit Brooklyn verband. Etwa die Hälfte der relativ kleinen muslimischen Bevölkerung lebte in Brooklyn, und etwa achtundneunzig Prozent von ihnen waren ehrliche, fleißige Menschen, die etwas erreichen wollten, das ihnen in den Ländern, die sie verlassen hatten, nicht geboten wurde. Es gab allerdings welche, etwa zwei Prozent, die Schwierigkeiten
mit dem Gesetz hatten, und einen noch kleineren Prozentsatz, der ein Sicherheitsrisiko darstellte.
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