Der Löwe
beigebracht, wie man in der westlichen Welt zurechtkam – praktische Dinge, wie zum Beispiel eine Flugreservierung, das Einchecken in ein Hotel, das Chartern eines Flugzeuges, wie man ein Auto mietet und all die anderen Sachen, die Khalil vor drei Jahren hier gemacht hatte und jetzt wieder machte. Außerdem sprach Boris ein nahezu fehlerloses Englisch, das er in der alten KGB-Schule für Nordamerikastudien gelernt hatte, und er hatte seinen gelehrigen Schüler in den Feinheiten des amerikanischen Englisch unterwiesen. Das brachte mich auf meinen nächsten Gedanken: Khalil wollte Boris umbringen.
Ich war Boris vor drei Jahren zum ersten und einzigen Mal in der CIA-Zentrale in Langley, Virginia, begegnet, nachdem uns Khalil entwischt war. Genau genommen hatte Boris mich und Kate kennenlernen wollen, und wir hatten eine angenehme Stunde miteinander verbracht und über das Einzige geplaudert, das wir gemeinsam hatten: Asad Khalil.
Boris hatte außerdem angedeutet, dass die Libyer vorhatten, seiner Tätigkeit – und seinem Leben – ein Ende zu bereiten, nachdem er Khalil seine letzte Lektion erteilt hatte. Aber Boris war mit etwas Hilfe seitens der CIA lebend aus Libyen weggekommen, und als Kate und ich ihn trafen, packte er bei seinen neuen Freunden von der CIA über den libyschen Nachrichtendienst
aus und gab dabei wahrscheinlich auch gleich ein paar alte KGB-Geheimnisse preis.
Boris wiederum würde nach den üblichen CIA-Gepflogenheiten einen amerikanischen Pass und ein paar andere Gegenleistungen bekommen haben, zum Beispiel eine lebenslange Versorgung mit Marlboros und Stoli, der ihm, soweit ich mich entsinnen konnte, zu schmecken schien.
Boris (kein Nachname bitte) war ein eindrucksvoller Mann, und ich hätte gern mehr Zeit mit ihm verbracht, aber es war eine einmalige Sache gewesen, und er war von seinen CIA-Hütern umgeben, die sich wie Ehefrauen aufführten und ihn unter dem Tisch traten, wenn er oder der Wodka zu viel sagten. Darüber hinaus hatten Kate und ich ein paar FBI-Typen bei uns, die bei dem Gespräch ebenfalls einige Vorbehalte vorbrachten. Aber ich konnte mich erinnern, dass er gesagt hatte, er habe schon immer New York sehen wollen und dass wir uns vielleicht wiederbegegnen würden.
Außerdem konnte ich mich jetzt an das Ende des Gesprächs entsinnen, als Boris in Bezug auf Asad Khalil zu mir und Kate gesagt hatte: »Dieser Mann ist eine perfekte Mordmaschine, und was er heute nicht umbringt, bringt er morgen um.«
Darauf war ich irgendwie schon selber gekommen, aber aus reiner Widerborstigkeit hatte ich eingewandt: »Er ist auch nur ein Mensch.«
Worauf Boris erwiderte: »Manchmal frage ich mich das.«
Offenbar hatte Asad Khalil, der Löwe, in der Vorstellung seiner Freunde und Feinde geradezu sagenhafte Ausmaße angenommen – genau wie Carlos, der Schakal –, und wenn ich ihn in die Hände kriegte und ihm die Kehle durchschnitt, würde ich als John Corey, der Löwentöter, bekannt werden. Besser als John Corey, der Risikofaktor. Stimmt’s? Tom Walsh und ich würden zum Abendessen im Weißen Haus nach Washington fliegen. Eigens für Sie, Mr Corey, servieren wir Schweine im Schlafrock.
Aber möglicherweise reagierten die Leute in Washington auch nicht so freundlich, wenn ich Khalil umbrachte. Wir klagen Sie wegen vorsätzlichen Mordes an, Detective Corey. Vorsätzlich? Ich habe erst vor drei Jahren daran gedacht.
Jedenfalls hatte Boris unser einstündiges Stelldichein bei Tee und Wodka mit folgenden Worten beendet: »Ich beglückwünsche Sie beide zu Ihrem Überleben. Vergeuden Sie keinen Ihrer Tage.«
Danke für den Rat. Ich konnte nur hoffen, dass Boris ihn sich selber zu Herzen genommen hatte. Mein Fazit zu Boris: Ich mochte ihn, aber das, was er getan hatte, nämlich ein Monster zu schaffen, gefiel mir ganz und gar nicht. Und ich war mir sicher, dass Boris es irgendwann bereuen würde – wenn er seinem Monster nicht schon begegnet war.
Aber wenn Boris noch am Leben war, musste ich ihn ausfindig machen und ihn warnen, dass sein ehemaliger Schüler sich wieder in den USA aufhielt und ein paar alte Rechnungen begleichen wollte. Natürlich sollte ich davon ausgehen, dass die CIA das bereits für ihren alten Überläufer getan hatte, aber bei den Typen weiß man nie, für wen sie noch weiter Verwendung haben.
Von meiner durchaus wohlwollenden Absicht, Boris zu warnen, einmal abgesehen, wollte ich auch mit ihm darüber sprechen, wie ich Asad Khalil am besten aufspüren
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