Der Lord ihres Herzens
Schützlinge nicht nur die Vormundschaft übernommen, sondern auch das Sorgerecht. Wenn man den Duke of Montford kannte, brauchte man nach dem Grund nicht lang zu suchen: Er wollte sie unter seiner Fuchtel haben.
Die Mädchen waren Erbinnen, die Knaben verfügten über Titel und Ländereien oder waren die nächsten Anwärter darauf. Der Duke hatte es für zweckdienlich erachtet, die Waisen in seinem Haushalt auf Harcourt unterzubringen, bis er die Knaben zu ihren jeweiligen Landgütern schicken konnte.
Xavier und Rosamund waren die einzigen wirklichen Geschwister, aber sie waren alle, wenn auch über viele Ecken, miteinander verwandt. Die Blutsbande waren zwar so dünn, dass sie kaum nachvollziehbar waren, aber dennoch waren ihre Gefühle füreinander ehrlich, tief und stark.
Die Familie Westruther war so alt und groß, dass es sich ein Spross zur Lebensaufgabe gemacht hatte, die Geschichte dieses stolzen, mächtigen Geschlechts aufzuzeichnen. Montfords Lebenswerk bestand wiederum darin, Reichtum und Ansehen der Westruthers zu mehren.
Jane fragte sich, wie weit er gehen würde. Er hatte keine Skrupel gehabt, sie mit Frederick zu verheiraten, obwohl jeder wusste, dass Lord Roxdale ein schwaches Herz hatte, ein Herz, das Jane nie zu gewinnen vermochte.
Würde der Duke sie diesmal selbst entscheiden lassen? Jane zweifelte daran. Solange sie ihr Geld nicht an der Börse verspekulieren oder einen Skandal von epischen Ausmaßen verursachen würde, würde er seine Hand über sie halten.
Dem Gesetz nach mochte sie jetzt ihre eigene Herrin sein, doch Montford besaß das Talent, Menschen wie nichts ahnende Schachfiguren über das Spielbrett zu schieben. Sie würde ihm immer einen Schritt voraus sein müssen, um seinen Winkelzügen zu entgehen.
„Ah“, sagte Cecily. „Ein paar Neuankömmlinge.“
Feather, der Butler, erschien an der Tür zum Musikzimmer. Ihm folgten jene Trauergäste, die ein berechtigtes Interesse hatten, das Testament zu hören. Normalerweise wäre die Bibliothek der angemessene Ort für einen solchen Anlass gewesen, doch Jane hatte sie immer als ihren Rückzugsort genutzt. Sie konnte sich noch nicht an den Gedanken gewöhnen, ihn zu verlieren.
Jane nahm die Beileidsbezeugungen mit leise gemurmelten Dankesworten entgegen.
Der Salon füllte sich rasch. Lieber Himmel, wie viele sind denn schon hier, stöhnte Jane im Gedanken. Über der Menschenmenge erhob sich die scharfe Stimme einer Dame, deren Hut ebenso ausladend war wie die gute Meinung, die sie von sich selbst hatte.
Es war Griselda, Countess of Endicott, eine Tante von Frederick. Jane sank seufzend in ihren Sitz zurück, doch sie konnte der Aufmerksamkeit der Dame nicht entgehen. Lady Endicott kam geradewegs auf sie zugeeilt, wobei ihr massiver Busen wie ein Schiffsbug durch die Menschenmenge pflügte.
Als sie näher trat, erhoben sich die drei jungen Frauen und knicksten artig.
„Jane“, posaunte die Countess of Endicott. „Kannst du mir verraten, was du dir dabei gedacht hast, einen so schäbigen Sarg für den armen Frederick auszuwählen. Als die Sargträger ihn hinaus zum Leichenwagen brachten, wusste ich vor Scham gar nicht, wohin ich schauen sollte!“
Die Gespräche um sie herum verstummten. Die Countess erregte große Aufmerksamkeit und Janes Wangen wurden heiß. „Der Sarg entsprach genau Fredericks Wünschen, Tante.“ Es war ein schöner Sarg gewesen, aus poliertem Mahagoni mit Messinggriffen. Was konnte es dagegen einzuwenden geben?
Jane wusste mittlerweile nur zu gut, dass die Countess an jedem und allen etwas auszusetzen hatte, dennoch hätte sie sich gewünscht, Lady Endicott hätte dafür diesmal einen weniger öffentlichen Rahmen gewählt.
Lady Endicotts leicht hervorquellenden braunen Augen blitzten noch ein Stückchen weiter aus den Höhlen. „Frederick hat dieses hässliche Ding ausgesucht? Was hatte er denn noch zu sagen?“ Sie winkte lässig ab. „Meine liebe Jane, die eigene Beerdigung ging Frederick ja wohl nichts mehr an. Als seine Frau wäre es deine Pflicht gewesen, seine Wünsche zu ignorieren und das zu tun, was das Beste für ihn ist. Nach all den Jahren, die ihr verheiratet wart, hatte ich erwartet, dass du wenigstens das gelernt hättest.“
Jane wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie war froh, dass in diesem Augenblick ihr Nachbar Mr Trent zu ihnen trat. Er begrüßte sie und wandte sich dann mit seinem charmantesten Lächeln an die Countess. „Ah, Lady Endicott. Strahlend wie
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