Der Lord und die Betrügerin
Hakennase zu. »Leg die Ballen auf den Tisch mit dem besten Licht.« Er runzelte die Stirn und deutete mit dem Finger auf den Tisch. Er war ein kleiner, untersetzter Mann mit einem elegant gestutzten Bart und schiefen Zähnen. Ständig war er in Bewegung, er kommandierte die Pagen und die Näherinnen herum, während er gleichzeitig gekonnt die Spitze und den Pelzbesatz und die Bänder auf dem Tisch nach Farben sortierte.
Nie zuvor hatte Kiera eine solche Vielfalt gesehen. Blasse Seidenstoffe - einige davon, so versicherte ihr der Schneider, waren in Italien bestickt worden - lagen neben Ballen mit dickem Samt und Damast, ein schwerer Stoff, der aus Damaskus kam. Fäden aus Silber und Gold waren in den flauschigen Stoff eingewebt, und der Schneider schlug bereits die Farben und den Besatz der Kleider vor, die er sich vorstellte.
»Zobel ist immer in Mode«, verriet er, als sei das ein großes Geheimnis, während er über einen dunklen Pelz strich, der auf einem Ballen silbergrauen Damasts lag. »Und wenn der Sommer kommt, dann haben wir diesen lavendelfarbenen Sandal - also, wo ist er doch gleich? Ich hatte ihn erst gestern... Gway- ne... oh... hier ist er ja!« Er zeigte ihr den Stoffballen, ein schimmerndes Lila, auf den er eine feine weiße Spitze legte und ein pflaumenfarbenes Band. »Ist das nicht herrlich? Das Kleid wird in der Taille gerafft sein, mit einem viereckigen Ausschnitt, mit Spitze besetzt und einer Schleppe, die Ihr über dem Unterarm tragen werdet. Wir könnten den Rock in verschiedenen Lagen arbeiten, einige aus einem eine Spur dunkleren Stoff!« Er strahlte geradezu, während er ihr Kleid um Kleid beschrieb. Kiera konnte sich gar nicht mehr erinnern, welchen Stil er für welche Stoffe vorgesehen hatte, doch sie sagte sich, dass das auch gar nicht so wichtig war.
»Und jetzt wollen wir Maß nehmen«, ordnete der Schneider an und schnippte mit den Fingern nach einer der Näherinnen.
Während die Frau nun gehorsam an ihr herumarbeitete, betrachtete Kiera die lebhaften Farben der Stoffe und sagte sich, dass sie das nicht annehmen durfte. Die herrlichen Kleider würden ein Vermögen kosten und waren für Kelans Frau bestimmt.
Sie entschied, dass sie mit ihm würde reden müssen, während der Schneider ununterbrochen weiterplapperte über Formen von Ärmeln, Ausschnitten und Säumen. Er schlug nicht nur Kleider vor, sondern dazu Umhänge, Mäntel, Kopfputz und Schuhe, die Kiera niemals tragen würde. Während sie ihm nur mit halbem Ohr lauschte, stellte sich Kiera vor, welche Reaktion Kelan auf die Wahrheit zeigen würde.
Er würde vor Zorn glühen. Er würde beschämt sein. Und er wäre sicher bereit, sie zu vierteilen. Sie würde sich seiner Gnade ausliefern und ihn um Hilfe bitten müssen bei der Suche nach seiner wahren Braut.
Sie musste es ihm sagen. Heute Morgen, als Kelan sie mit seinen Liebkosungen zärtlich geweckt hatte, hatte sie ihm alles erklären wollen, doch ihr hatten die Worte gefehlt. Nachdem sie seine Mutter kennen gelernt und ihre Anerkennung gefunden hatte, hatten Kiera und Kelan einander noch einmal leidenschaftlich geliebt. Aber sie konnte nicht länger so tun, als sei sie Kelans Frau. Ganz gleich, welche Strafe Kelan ihr auch auferlegen würde, ganz gleich, welche Schande sie beide würden erdulden müssen, sie konnte nicht länger mit dieser Lüge leben.
Sie ließ diesen nervösen kleinen Schneider, der um sie herumwuselte, nur über sich ergehen, weil Kelan zurzeit zu beschäftigt war, um mit ihr zu reden. Sie würde warten müssen, bis sie mit ihm allein war. In der Zwischenzeit konnte sie nichts tun, niemand durfte wissen, dass etwas nicht stimmte. Kelan hatte es verdient, als Erster von ihrem Betrug zu erfahren.
»Äh... hier habe ich etwas ganz Besonderes«, erklärte der Schneider und zeigte ihr einen Ballen tiefblauen Samt, auf den er das lange weiße Fell eines Kaninchens legte. »Ja, bei Euren Augen und Eurem Haar würde das sehr elegant aussehen, nein, sogar königlich, M'lady. Mit ausgestellten Armen, denke ich, und einem hohen Mieder und einem Ausschnitt, so tief, dass er schon gewagt ist. Ja?« Er rieb sich aufgeregt seine beringten Finger.
»Danke, aber ich brauche so viele Kleider gar nicht«, wehrte sie ab, während der energische Mann sich unverdrossen um seine Aufgabe kümmerte. Pausenlos legte er ihr Leinen, Seide und Samt über die Schultern, trat dann ein paar Schritte zurück und strich sich nachdenklich über seinen Spitzbart, während er seine
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