Der Lord und die Betrügerin
geschieht.«
»Dann kannst du auf der anderen Seite der Tür warten. Wenn ich dich brauche, werde ich nach dir rufen«, befahl Lenore streng und zeigte dabei eine Spur ihres früheren Feuers.
»Aber wenn Lord Kelan mich erwischt, dann wird er...«
»Uberlass es mir, mit ihm fertig zu werden. Und jetzt geh, Rosalynn. Es wird nur eine Minute dauern.« Die Frau verließ widerwillig das Zimmer, und Lenore hob die Hand und winkte Kiera zu sich. »Ich bin froh, dass du gekommen bist.«
»Aber natürlich.« Lieber Gott. Wenn möglich, so sah Lenore noch schwächer aus als zuvor. An ihrer Seite lag ein Stickrahmen, doch die Arbeit war unberührt.
»Etwas beunruhigt dich«, stellte die ältere Frau fest. Es war eine Bemerkung, keine Frage, und Kiera war erleichtert, dass Kelans Mutter zumindest die Wahrheit nicht wusste.
»Das ist nur, weil hier alles so neu für mich ist.«
»Und?«, drängte Lenore. »Etwas liegt dir auf der Seele. Es ist mehr als nur das Heimweh nach deinem Zuhause und deiner Familie.« Sie griff nach Kieras Hand. »Was ist es? Gefällt mein Sohn dir nicht?«
»Oh, nein! Das ist es ganz und gar nicht.«
»Er behandelt dich gut?«
Kiera dachte daran, dass Kelan seit einiger Zeit schon nicht mehr von den Fläschchen gesprochen hatte und dass er sie am gestrigen Abend gegen Morwennas Angriff verteidigt hatte. Sie dachte an die Kleider, die er für sie nähen lassen wollte, an die Art, wie er sie den Bediensteten vorgestellt hatte, und hauptsächlich dachte sie daran, wie er sie liebte, manchmal zärtlich, manchmal so leidenschaftlich, dass es ihr den Atem nahm. »Aye, er behandelt mich gut«, gestand sie und fürchtete, dass ihre Stimme sie verriet.
»Das tut er, weil er dich liebt.«
»Er liebt mich?«, wiederholte Kiera, hin und her gerissen zwischen Jubel und Verzweiflung. Oh, zu glauben, dass Kelan etwas an ihr lag, dass er sie wahrhaftig liebte, das war der Himmel. Oder war es die Hölle ? Denn er könnte niemals eine Frau lieben, die ihn so sehr betrogen hatte. Niemals. Schließlich würde die Wahrheit ans Licht kommen.
Heute Abend.
Sie musste es ihm heute Abend sagen.
»Aye. Ich kenne meinen Sohn. Ich habe früher geglaubt, er sei nicht in der Lage, sich zu verlieben. Ach, ich wünschte nur, dass ich sein Kind noch sehen könnte - dein Kind.«
Kieras Herz schlug dumpf. Ihr war klar, wenn sie nicht bereits schwanger war, würde sie nie die Gelegenheit haben, Kelan ein Kind zu schenken. Plötzlich fühlte sie sich leer. Ausgehöhlt und verloren.
»Ich denke, da gibt es etwas, das Ihr wissen solltet«, erklärte sie, was sich wie der Anfang ihres Geständnisses anhörte. Pass auf - du sollst die Wahrheit Kelan beichten und nicht seiner Mutter!
So schwach Lenore auch war, sie setzte sich im Bett auf, und Kiera erhaschte eine Ahnung von dieser Frau, als sie noch jünger gewesen war, die starke, lebhafte Frau, deren Körper ihr jetzt nicht mehr gehorchte. »Was ist es, das dir Sorgen macht? Liebst du Kelan nicht?«
Ihn lieben? Ihn lieben? Nein, das war ganz unmöglich. Und dennoch: Hatte sie nicht genau das gedacht, gefürchtet? Verlangen war nicht das Gleiche wie Liebe. Es konnte nicht sein, doch die Gefühle, die Kelan in ihr geweckt hatte, hatten nicht nur ihren Körper berührt, sondern auch ihr Herz. »Es geht nicht um Liebe«, wich sie aus, obwohl sie sicher war, dass
Kelans Mutter sie durchschaute. Auch wenn Lenore todkrank war, so war ihr Verstand doch klar. »Liebe ist nicht das Problem.«
»Dann ist alles gut. Denn er liebt dich, Elyn. Eine Mutter kennt ihren eigenen Sohn, und ich sehe die Liebe zu dir in seinen Augen. Als ihr beide mich besucht habt, habe ich gesehen, wie er dich angeschaut hat, als du nicht bemerkt hast, wie seine Blicke dir folgten. Oh, er versucht es zu verbergen, das sehe ich ebenso, doch er ist verliebt.« Ein kleines, zufriedenes Lächeln umspielte ihre Lippen, und Kiera wünschte, sie könnte im Boden versinken, weil sie wusste, dass diese kranke Frau einen Hoffnungsschimmer sah, dass sie sich wünschte, dass ihr Sohn eine gute Ehe eingegangen war. Ihr schlechtes Gewissen brachte sie fast um.
Lenore wandte sich dem Stickrahmen zu. »Das sollte ein Teil eures Hochzeitsgeschenkes sein«, meinte sie seufzend. »Doch ich fürchte, es wird niemals fertig werden.« Sie nahm den Stickrahmen in die Hand, auf dem zur Hälfte das Bild zweier Tauben gestickt war, die ein Band hielten, durch das zwei Eheringe gezogen waren. »Es war für dich bestimmt, und ich
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