Der Lüge schöner Schein
Wochentag und die Uhrzeit bekannt, zu der die Tat verübt worden war. Beim ersten, dem Angriff auf den alten Gärtner, war es ein Donnerstag gewesen, halb acht Uhr abends. Beim zweiten, dem Mord an Lewis, ein Montag, Viertel nach fünf nachmittags. Ziemlich früh, aber das hatte nichts zu sagen. Wenn sie die Wahl hatten, verrichteten Einbrecher ihre Arbeit lieber bei Tageslicht. Man musste sich keine Sorgen wegen des Lichts oder unangenehmer Fragen von Polizisten machen, die wissen wollten, warum man zu dieser Zeit unterwegs war.
Die einzige greifbare, eventuell hilfreiche Verbindung zwischen den Überfällen war die Tatsache, dass die Hausbesitzer alle in Urlaub gewesen waren. Der Einbrecher musste eine Informationsquelle haben.
Das Problem war nur, dass ein professioneller Einbrecher auf vielfältigste Art und Weise herausfinden konnte, wann ein Haus leer stand. Obwohl Pascoe sich nicht sicher war, inwieweit sie es tatsächlich mit einem Profi zu tun hatten. Es stand nämlich überhaupt nicht fest, dass er polizeibekannt war. In den beiden Fällen, von denen die Tatzeit bekannt war, war jeder in Frage kommende Einbrecher aus der Umgebung mit großer Vehemenz und Einsatzfreude unter die Lupe genommen worden. Ohne Ergebnis.
Und der vorsätzliche Mord an Lewis (wenn es denn auch in seinem Haus ihr Einbrecher gewesen war) bereitete Pascoe erhebliches Kopfzerbrechen. Einbrecher hatten üblicherweise einen hoch entwickelten Selbsterhaltungstrieb. Gut möglich, dass sie auf alles eindreschen würden, was sich ihnen in den Weg stellte, aber höchstwahrscheinlich würden sie sich nicht damit aufhalten, bis zum Äußersten zu gehen.
»Ich glaube aber trotzdem nicht, dass wir es mit einem Irren zu tun haben«, sagte er nochmals. Damit ließ er Dalziel allein, der sich lustvoll stöhnend dem Höhepunkt seiner Kratzorgie näherte.
Auf dem Flur traf er Detective-Inspector George Headingley, den Mann, der die Härte besaß, Dalziels Einladungen ins Pub auszuschlagen. Er hatte einen Zettel in der Hand.
»Es schwimmt doch mehr in Pisse als man auf den ersten Blick vermuten würde«, sagte der Inspector weise.
»Was?«
»War doch Ihre Idee, den Inhalt von Cottingleys Teekessel ins Labor zu schicken. Volltreffer. Unser Mann ist Diabetiker.«
»Was ist er?«
»Zuckerkrank. Das könnte den Kreis der Verdächtigen schon ein bisschen einengen. Ich bin gerade auf dem Weg, es dem Chef zu sagen. Kommen Sie mit. Der könnte Sie auf beide Backen küssen, wenn Sie nicht schnell genug in Deckung gehen.«
Gemeinsam gingen sie in Dalziels Zimmer zurück. Der Dicke hielt den Telefonhörer ans Ohr. Nach einer Weile legte er auf und sah Pascoe verdrossen an.
»Sie sollten vielleicht wissen«, sagte er, »dass ich mich über Ihren Schlamassel auf dem Laufenden halten lasse. In Nottingham haben sie jemand, der Ihnen weiterhelfen könnte. Backhouse ist hingefahren. Sieht also schlecht aus für Ihren Freund Hopkins. Ich weiß zwar nicht, was mir leid tut, aber es tut mir leid.«
Drei
F alscher Alarm«, sagte Backhouse. »Zu dieser Erkenntnis hatten sie sich gerade durchgerungen, als ich hinkam. Es war aber ein äußerst viel versprechender Kandidat – passendes Aussehen und kein Wort aus ihm herauszukriegen.«
Er lachte kurz.
»Es war ein Pole, der praktisch kein Wort Englisch spricht und dessen bisherige Erfahrungen mit den Behörden ihn gelehrt haben, dass Schweigen Gold ist. Ich habe in Nottingham übernachtet, mir eine interessante Pinter-Aufführung im Theater angesehen, und weil’s auf dem Weg liegt, beschlossen, hier vorbeizuschauen.«
Hier
war ein kleines Dorf außerhalb von Worksop, in dem Rose geboren und erst vor wenigen Minuten unter die Erde gebracht worden war.
Pascoe fragte sich, was wohl Dalziel mit Harold Pinter anzufangen wüsste.
Er war von dem Menschenauflauf bei der Beerdigung überrascht gewesen, insbesondere von ein paar völlig unerwarteten Gesichtern. Backhouses Interesse war sicher beruflicher Natur, obwohl er dies geschickt zu tarnen wusste. Und vielleicht kam es auch nicht allzu unerwartet, dass Anton Davenant hier war, ob als Freund oder Journalist, war nicht zu sagen. Seine ganz und gar nicht trauerfeierliche Gewandung hatte erstaunte Blicke und missbilligendes Getuschel unter den Einheimischen hervorgerufen.
Doch die größte Überraschung waren Marianne Culpepper und Angus Pelman in der Schar der Trauernden. Eine Art atavistischer Puritanismus regte sich in Pascoe angesichts dieser unverhohlenen und
Weitere Kostenlose Bücher