Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
Vom Netzwerk:
saß in der Küche und hatte seit drei Uhr nachmittags Wodka aus einer Teetasse getrunken. Um zehn schleuderte sie die Tasse auf den Boden und schrie so laut, daß ich sie im Wohnzimmer hören konnte.«
    Trotter rutschte unruhig hin und her.
    »Hör zu«, sagte er. »Du mußt es uns nicht unbedingt erzählen.«
    »Nein, nein, ich möchte ja. Wie gesagt, sie hatte den ganzen Nachmittag lang gesoffen, und plötzlich heulte sie: ›Zehn Uhr! Es ist beschissene zehn Uhr! Warum kommt er nicht? Warum, um Gottes willen, kommt er denn nicht?‹ Irgendwas in der Art.
    Ich ging in die Küche und sah ihr ins verquollene Gesicht, sah ihre tränenverschmierten Wangen, über die sich Wimperntusche verteilt hatte, ihre zitternden Lippen, und ich erinnere mich, daß ich dachte: ›Sie sieht aus wie Shelley Winters, aber ohne ihr Talent.‹ Weiß nicht, warum mir der Gedanke kam, aber so war es eben. Ich drehte mich wieder zur Glotze um – ich konnt’s nicht ertragen, sie so zu sehen– und sagte: ›Er arbeitet noch, Mutter. Du weißt doch, daß er arbeitet.‹
    ›Arbeiten?‹ schrie sie mir mit ihrer Fahne direkt ins Gesicht. ›Arbeiten! Oh, das ist toll. Er bumst diese
Fotze
von Laborassistentin, das macht er. Die kleine Schlampe. Ich hab sie gesehen … mit ihrem blöden weißen Mantel und ihren blöden weißen Zähnen. Kleine
Hurenschlampe
!‹«
    Tom und Trotter starrten Adrian ungläubig an, als er diese Worte herauskreischte, aber seine Augen waren geschlossen, und er schien sie gar nicht wahrzunehmen.
    »Sie hatte ein ziemliches Organ, meine Mutter. Ich dachte, ihre Stimme würde überschnappen, weil sie ihr solche Gewalt antat, aber in Wirklichkeit schnappte meine eigene über. ›Du solltest ins Bett gehen, Mutter‹, sagte ich.
    ›Bett! Er ist es doch, der im beschissenen Bett ist‹, kicherte sie und saugte an der Flasche, und der letzte Wodka rann ihr am Mund herab und mischte sich mit den Tränen, die die Falten ihres fetten Gesichts runterliefen. Sie rülpste und versuchte, die Flasche in das Loch des Müllbeseitigers zu stopfen, des Dingens.«
    »Müllschlucker«, sagte Schweinchen Trotter. »Ich glaube, die heißen Müllschlucker.«
    »Müllschlucker, genau. Sie versuchte, die Flasche in den Müllschlucker zu stopfen.
    ›Ich
werde
sie bei
ihrem
kleinen
Spielchen erwischen
‹, grölte sie – immer, wenn sie besoffen war, fiel sie in eine Art Singsang, das war eins der Zeichen, daß sie hinüber war – ›genau das mach ich jetzt. Wo sind die Schlüssel?‹
    ›Mutter, du kannst jetzt nicht fahren!‹ sagte ich. ›Warte doch, er kommt bestimmt gleich. Sieh doch.‹
    ›Wo sind die Schlüssel? Wo sind die verfluchten Autoschlüssel?‹
    Also ich wußte genau, wo sie waren. In der Halle auf dem Tisch, und ich rannte hin und stopfte sie mir in den Mund. Gott weiß warum. Ich brachte sie erst richtig auf hundertachtzig.
    ›Komm her, du kleiner Bastard, gib mir die Schlüssel!‹
    Ich sagte: ›Mutter, du kannst so nicht fahren, laß es bleiben, ja?‹
    Und dann … da griff sie sich eine Vase vom Tisch und warf sie nach mir. Sie zerbrach mir am Kopf und schleuderte mich gegen den Treppenabsatz, wo ich stolperte und hinfiel. Seht ihr die Narbe hier?«
    Adrian strich sich die Haare beiseite und zeigte Trotter und Tom eine kleine weiße Narbe.
    »Fünf Stiche. Jedenfalls rann mir Blut übers Gesicht, und sie schüttelte mich und schlug mich ins Gesicht, links und rechts, links und rechts.
    ›Wirst du mir wohl die verdammten Schlüssel geben?‹ schrie sie weiter und schüttelte mich bei jeder Silbe. Ich kroch da lang, ich weinte, das kann ich euch ruhig sagen, heulte Rotz und Wasser. ›Bitte, Mutter, du darfst nicht raus, wirklich nicht. Bitte!‹«
    Adrian unterbrach sich und sah sich um.
    »Riskieren wir eine Zigarette, was meint ihr?«
    Tom zündete drei auf einmal an.
    »Weiter«, sagte Schweinchen Trotter. »Was geschah dann?«
    »Na ja«, sagte Adrian und inhalierte tief, »was Mutter nicht gesehen hatte, war, daß mir die Autoschlüssel in dem Moment, als die Vase mich traf, aus dem Mund geflogen waren wie eine Tontaube aus der Wurfmaschine. Sie dachte, ich hätte sie immer noch im Mund, deswegen versuchte sie jetzt, ihn mir aufzupressen, wißt ihr, wie einTierarzt, der versucht, einem Hund eine Tablette zu geben.
    ›Das kleine Arschloch hat sie also verschluckt, ja?‹ sagte sie.
    Ich schrie zurück: ›Ja, ich hab sie verschluckt! Ich hab sie runtergeschluckt, und du kannst sie nicht wiederhaben! Also

Weitere Kostenlose Bücher