Der Lügner
ein Scharlatan und ein Bluffer. Meine Lieblingsfiguren übrigens.«
»Was macht Sie da so sicher?«
»Ich studiere Sprachen, Mr. Healey. Sie schreiben flüssig und mit Überzeugung, Sie sprechen kontrolliert und mit Autorität. Hier eine beziehungsreiche Idee, dort eine abstrakte Aussage, Sie jonglieren und spielen mit ihnen, verführen sie. Man sieht keine Bewegung vom Zweifel zum Verständnis, keinen Zusammenbruch, kein Nachhaken, keine Erregung. Sie versuchen andere zu überzeugen, nie sich selbst. Sie erkennen Muster, aber Sie arrangieren sie neu, wo Sie sie analysieren sollten. Kurz gesagt, Sie denkennicht. Sie haben nie gedacht. Mir haben Sie nie irgend etwas gesagt, was Sie für wahr halten, nur Dinge, die wahr klingen und vielleicht gar wahr sein sollten: Dinge, die einen Moment lang mit der Rolle übereinstimmten, die Sie sich für den Nachmittag zurechtgelegt hatten. Sie mogeln, Sie schummeln, Sie lügen. Einfach wunderbar.«
»Mit Respekt gesagt, Professor …«
»Schweineschlempe! Sie respektieren mich nicht. Sie fürchten mich, sind von mir verwirrt, beneiden mich … alles mögliche, aber Sie respektieren mich nicht. Warum sollten Sie auch? Ich bin wenig respektabel.«
»Was ich meine, ist, bin ich denn so anders als all die anderen? Denkt denn nicht jeder so wie ich? Arrangiert nicht jeder die Muster nur neu? Ideen können doch wohl kaum erschaffen oder zerstört werden.«
»Doch!« Trefusis klatschte vergnügt in die Hände. »Doch, doch, doch! Aber wer sonst
weiß
denn, daß sie das und nur das tun?
Sie
wissen es, Sie haben es immer gewußt. Deswegen sind Sie ja ein Lügner. Andere geben ihr Bestes, und wenn sie sprechen, meinen sie es auch so. Sie meinen es nie so. Diese Doppelzüngigkeit weiten Sie auf Ihre Moral aus. Sie gebrauchen und mißbrauchen Menschen und Ideen, weil Sie nicht an ihre Existenz glauben. Nur Muster, mit denen Sie spielen. Sie sind ein Höllenhund, und das wissen Sie.«
»Gut«, sagte Adrian. »Und was wird jetzt aus mir?«
»Ja, richtig. Ich könnte Sie bitten, mich nicht mehr zu belästigen. Könnte Sie mit Ihrem langweiligen kleinen Leben weitermachen lassen, wie ich mit meinem weitermache. Oder ich könnte Ihrem Tutor einen Vermerk schreiben. Er könnte Sie von der Universität relegieren. Beides würde mich des, sei’s auch geringen, Einkommens berauben,das ich dafür erhalte, Sie zu unterrichten. Was tun? Was tun? Schenken Sie sich ein Glas Madeira ein, auf dem Schränkchen da steht Sercial oder Bual. Hmm! Es ist alles so schwierig.«
Adrian erhob sich und schritt durchs Zimmer.
Trefusis’ Quartier konnte mit einem Wort beschrieben werden.
Bücher.
Bücher und Bücher und Bücher. Und wenn ein Betrachter gerade auf die Idee gekommen sein mochte, daß es das nun gewesen sei, noch mehr Bücher.
Kaum ein Quadratzentimeter Holz oder Wand oder Fußboden war zu sehen. Das Gehen war nur möglich auf schmalen Pfaden zwischen Bücherstapeln. Das Schreiten auf diesen Pfaden zwischen hüfthohen Bücherstapeln war wie das Wandeln durch einen Irrgarten. Trefusis nannte den Raum sein »Bibliorinth«. Plätzchen, wo man sich setzen konnte, ähnelten Lagunen in Korallenriffs aus Büchern.
Adrian nahm an, daß jeder, der dreiundzwanzig Sprachen sprechen und vierzig lesen konnte, unterwegs den einen oder anderen Band zur Vertiefung seiner Kenntnisse aufsammelte. Trefusis selbst sprach höchst herablassend über sie.
»Waldverschwendung«, hatte er einmal gesagt, »dämliche, häßliche, umständliche, schwere Gegenstände. Je eher die Technik mit einer verläßlichen Alternative aufwartet, desto besser.«
Am Anfang des Semesters hatte er, verärgert von einem dämlichen Kommentar, Adrian mit einem Buch beworfen. Adrian hatte es aufgefangen und war schockiert gewesen, als er sah, daß es eine Erstausgabe der
Fleurs du Mal
war.
»Bücher sind keine Reliquien«, hatte Trefusis gesagt. »Wörter mögen meine Religion sein, aber was den Gottesdienst angeht, mag ich es schlicht. Tempel und Idole interessieren mich nicht. Der abergläubische Götzendienst dieser bürgerlichen Obsession für Bücher ist ausgesprochen ärgerlich. Überlegen Sie nur, wie vielen Kindern zimperliche kleine Leute das Leben vergraulen, indem sie sie herunterputzen, wenn sie mal nachlässig eine Seite umblättern. Alle Welt führt es im Munde, man müsse Bücher ›mit Respekt behandeln‹. Aber wann wird uns jemals gesagt,
Wörter
sollten mit Respekt behandelt werden? Von frühester Kindheit an bringt
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