Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
Vom Netzwerk:
überquellenden Aschenbecher auf der Brust, einen leichten Kopfhörer um den Hals und ein Viereck aus malvenfarbener Seide überm Gesicht, durch welches er es schaffte zu rauchen. Wären da nicht das Auf und Ab des Aschenbechers und die sich durch die Seide kräuselnden Rauchwolken gewesen, hätte Adrian ihn für tot gehalten. Er hoffte es nicht, schließlich war es ein guter Essay, den er da vorlas, und er hatte sich viel Mühe damit gegeben.
    Freunde hatten ihn davor gewarnt, das sprachgeschichtliche Thema zu wählen.
    »Du wirst Craddock kriegen, und der ist total daneben«, sagten sie. »Trefusis lehrt nur Forschungsstipendiaten undein paar erlesene Studenten. Beleg den amerikanischen Essay wie alle anderen.«
    Aber Trefusis hatte eingewilligt, sich mit ihm zu treffen.
    »Das frühmittelenglische periphrastische ›do‹ konnte nach Modalverben und ›have‹ plus Partizip Präteritum stehen. Es diente hauptsächlich als nonmodaler Operator in zweiter Position und schloß ›be‹ plus Partizip Präteritum sowie Passivbildungen aus. Noch im 18. Jahrhundert schrieben einige Grammatiker, es sei eine Standardvariante zur einfachen Form, andere jedoch beschränkten seinen Gebrauch auf emphatische, interrogative und Negationssätze. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts war es obsolet geworden.«
    Adrian sah von seinem Papierstapel hoch. Ein brauner Fleck bildete sich auf Trefusis’ Taschentuch, wo die Seide den Rauch filterte.
    »Ahm … das war’s …«
    Schweigen vom Sofa. In weiter Ferne begannen die Glocken von Cambridge die Stunde zu schlagen.
    »Professor Trefusis?«
    Er konnte doch wohl keinen Essay von dieser Qualität verschlafen haben, oder? Adrian räusperte sich und versuchte es erneut etwas lauter.
    »Professor Trefusis?«
    Unter dem Taschentuch erklang ein Seufzen.
    »Und?«
    Adrian fuhr mit den Handflächen über seine Knie.
    »War er in Ordnung?« fragte er.
    »Gut konstruiert, gut untersucht, gut belegt, gut argumentiert …«
    »Oh. Danke.«
    »Originell, präzis, durchdacht, scharfsichtig, überlegt,erhellend, überzeugend, luzide, triftig, angenehm vorgetragen …«
    »Äh – gut.«
    »Ich nehme an«, sagte Trefusis, »Sie haben fast eine Stunde gebraucht, um ihn abzuschreiben.«
    »Bitte?«
    »Kommen Sie, Mr. Healey. Sie haben Ihre Intelligenz schon genug beleidigt.«
    »Oh.«
    »Val Kirstlin,
Neue Philologische Abteilung
, Juli 1973, ›Ursprung und Eigenschaften des periphrastischen Verbs ,do‘ im Mittel- und Frühneuenglischen‹. Hab ich recht?«
    Adrian rutschte unruhig hin und her. Es war schwer genug zu erahnen, was Trefusis dachte, wenn sein Gesicht unverschleiert war; mit einem darübergebreiteten Taschentuch war es so unleserlich wie ein Arztrezept.
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Es war folgendermaßen …«
    »Entschuldigen Sie sich bitte nicht. Hätten Sie sich die Mühe gemacht, selber zu arbeiten, wäre ich ebenso verpflichtet gewesen, es durchzustehen, und ich kann Ihnen versichern, daß ich sehr viel lieber einer guten als einer mittelmäßigen Arbeit lausche.«
    Adrian fiel darauf keine passende Antwort ein.
    »Sie haben ein großartiges Gehirn. Ein wirklich außerordentliches Gehirn, Mr. Healey.«
    »Danke.«
    »Ein großartiges Gehirn, aber einen verheerenden Verstand. Ich habe ein großartiges Gehirn
und
einen großartigen Verstand. Ebenso wie Russell. Leavis, ein passabler Verstand, praktisch ohne Gehirn. Ich frage mich, ob wir so weitermachen sollen.«
    »Wie weitermachen?«
    »Mit dieser zweiwöchentlichen Vorführung gestohlener Güter. Das scheint mir einigermaßen sinnlos. Ich finde die Pose sorgloser Jugend ebensowenig charmant oder einnehmend, wie Sie die Pose gramgebeugten Alters faszinierend und exzentrisch finden, nehme ich an. Vielleicht sollte ich Sie das Jahr verspielen lassen. Ich zweifle nicht daran, daß Sie in Ihren Abschlußprüfungen sehr gut abschneiden werden. Ehrlichkeit, Sorgfalt und Fleiß sind für jemanden wie Sie völlig überflüssige Eigenschaften, wie Sie klar erkannt haben.«
    »Also, es ist einfach, ich war einfach so …«
    Trefusis zog sich das Taschentuch aus dem Gesicht und sah Adrian an.
    »Aber natürlich waren Sie das! Fürchterlich beschäftigt. Fürch-ter-lich.«
    Trefusis nahm noch eine Zigarette aus einer Packung, die oben auf einem Stapel Bücher neben dem Sofa lag, und klopfte sie gegen seinen Daumennagel.
    »Mein erstes Treffen mit Ihnen hat mich nur in dem bestärkt, was ich schon geargwöhnt hatte. Sie sind ein Schwindler,

Weitere Kostenlose Bücher