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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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einen kleinen alten Herren, die Sie eines Tages vielleicht auch besuchen könnten. Meine Gattin und ich laden freitags immer zum Tee, Sie wären sehr willkommen.«
    »Vielen Dank, Sir.«
    »Sie brauchen uns nicht im voraus Bescheid zu sagen. Wir freuen uns immer über Ihren Besuch. Und jetzt laufen Sie.«
    »Danke, Mr. Biffen, ganz herzlichen Dank.«
    Adrian reichte ihm unwillkürlich die Hand, die Biffen ausnehmend fest ergriff, wobei er ihm direkt in die Augen sah.
    »Ich bin kein Mr. Chips, wissen Sie. Ich weiß genau, daß ich Ihnen leid tue. Bei meinen Kollegen ist das schon schlimm genug, aber von Ihnen lasse ich mich nicht bemitleiden. Auf keinen Fall.«
    »Nein, Sir«, sagte Adrian, »ich habe Sie nicht …«
    »Gut.«

III
     
    Tom, Adrian und Schweinchen Trotter, der sich gelegentlich an sie dranhängte, gingen in die Stadt. Ab und zu liefen Jungen in Trainingsanzügen an ihnen vorbei, mit allder tödlichen Entschlossenheit und humorlosen Konzentration der Sportbegeisterten. Jungen aus der Unterstufe zwitscherten vorbei, ratterten mit Stöcken an den Lattenzäunen entlang und flüsterten. Adrian hielt den Augenblick für gekommen, seinen neuen Jargon auszuprobieren.
    »Ich kann euch sagen, Burschen, das war vielleicht ein Brüller! Der alte Biffo war echt ein jovialer Profax heute morgen. Erst macht er Seichereien wegen Schwänzen, und dann lädt er mich zum Ringelpietz beim Tee ein. Kein Stuß! Hat er echt.«
    »Du scheinst ihm zu gefallen«, meinte Tom.
    »Das ist Kälberei, Thompson. Das nimmst du gefälligst zurück, andernfalls du gewärtigen müßtest, eine geschwalbt zu kriegen.«
    Sie gingen ein Stück weiter, Adrian probierte neue Wendungen aus, und Schweinchen Trotter schleppte sich hinter ihnen her und lachte einfach über alles, so daß Adrian das Spiel bald satt hatte.
    »Egal«, sagte er. »Erzähl mal was von deinen Eltern, Tom.«
    »Was willst du denn wissen?«
    »Na, du erwähnst sie nie.«
    »Über meine Leute gibt’s nicht viel zu sagen«, sagte Thompson. »Dad arbeitet bei British Steel, Mum kandidiert als Bürgermeisterin. Zwei Schwestern, beide schwachsinnig, und ein Bruder, der nächstes Semester hierherkommt.«
    »Und bei dir, Healey?« fragte Schweinchen Trotter. »Was machen denn deine Eltern?«
    »Vater«, sagte Adrian. »Die Mutter ist nicht mehr.«
    Trotter war bewegt.
    »Mein Gott«, sagte er, »das tut mir leid. Ich wußte nicht …«
    »Nein, ist schon in Ordnung. Autounfall. Als ich zwölf war.«
    »Das … das ist ja furchtbar.«
    »Wenn wir zu Gladys Winkworth gehen, erzähl ich euch die ganze Geschichte.«
    Die städtische Kirche lag auf einem Hügel, und auf dem Friedhof – den Oberschlaue wie Sampson nicht müde wurden, als »toten Punkt der Stadt« zu bezeichnen – stand eine alte Holzbank mit einer Plakette, auf der »Gladys Winkworth« stand. Sonst nichts. Es wurde allgemein angenommen, daß sie von einem senilen Witwer zum bleibenden Gedenken an seine dahingegangene Frau aufgestellt worden war. Tom meinte, sie läge sogar darunter begraben. Adrian glaubte, es handle sich um den Eigennamen der Bank, und hielt an diesem Glauben fest.
    Von Gladys aus konnte man die oberen, mittleren und unteren Sportplätze sehen, den Naturwissenschaftstrakt, die Turnhalle, die Bühne, das alte Schulgebäude, Bibliotheken, Kapelle, Aula und Kunstschule. Man kam sich vor wie ein General, der über ein Schlachtfeld blickt.
    Es war ein kalter Tag, und der Atem dampfte ihnen aus Mund und Nasenlöchern, als sie über den Friedhof gingen.
    »Ach, unbekümmert ob ihres Schicksals spielen die kleinen Opfer«, sagte Adrian. »Die Lebendigen und Jungen spielen Verstecken hinter den Marksteinen der Kalten und Toten.«
    Tom und Adrian setzten sich und warteten, bis Schweinchen Trotter aufgeholt hatte.
    »Es ist keine schöne Geschichte, die Geschichte meinerMutter«, sagte Adrian, als Trotter endlich neben sie geplumpst war, »aber ich werde sie euch erzählen, wenn ihr versprecht, sie für euch zu behalten. Nur Pa Tickford kennt sie. Mein Vater hat sie ihm erzählt, als ich hier ankam.«
    Trotter nickte atemlos. »Ich verrat’s keiner Seele, Healey. Ehrlich nicht.«
    Adrian sah Tom an, der gemessen nickte.
    »Nun gut«, sagte Adrian. »Eines Abends vor etwa drei Jahren … vor fast genau drei Jahren übrigens, saß ich zu Hause vor dem Fernseher. Ich weiß noch, es lief
Der Chef
. Mein Vater ist Professor für Biochemie an der Universität Bristol und kommt oft spät nach Hause. Meine Mutter

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