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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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mit nachfolgendem Konjunktiv.«
    »Einen Superlativ sagen Sie, Sir?«
    »Ja.«
    »Einen Superlativ mit nachfolgendem Konjunktiv?«
    »Ja, ja.«
    »Ähm … wie wär’s mit ›le garçon le plus beau que je connaisse‹?«
    »Äh … der netteste Junge, den ich kenne? Ja, das ist korrekt.«
    »Den nettesten, Sir? Ich meinte den schönsten.«
    Mist, er wollte die Schwulenpose doch ausklingen lassen. Na ja, wenigstens hatte er einen Lacher bekommen.
    »Danke, Healey, das genügt. Der Rest gibt bitte Ruhe, er muß wirklich nicht noch ermutigt werden.«
    O doch, das muß ich, dachte Adrian, ich brauche alle Ermutigung, die ich kriegen kann.
    Die Stunden gingen weiter, Biffen überließ ihn seinen Tagträumen.
    Am Ende der vierzig Minuten reagierte er auf die Pausenglocke, so schnell er konnte, schoß wie der geölte Blitz aus dem hinteren Klassenraum zur Tür und versuchte, sich in der Menge zu verlieren, aber Biffen rief ihn zurück.
    »Haben Sie nicht etwas vergessen, Healey?«
    »Sir?«
    »Sie schulden mir noch eine Erklärung für Ihre Unpünktlichkeit, glaube ich.«
    Adrian ging auf das Katheder zu.
    »Ach ja, Sir. Es ist folgendermaßen, Sir, ich hätte mich sowieso verspätet – nur ein bißchen, aber ich habe Dr. Meddlar getroffen.«
    »Der hat Sie zwanzig Minuten lang aufgehalten?«
    »Ja, Sir – oder eigentlich nein, Sir. Er war sehr gemein zu mir. Ich war mitgenommen, Sir.«
    »Gemein zu Ihnen? Der Kaplan war gemein zu Ihnen?«
    »Ich bin sicher, daß er es nicht so ausdrücken würde, Sir.« Adrian setzte seinen reinen, aber bekümmerten Gesichtsausdruck auf. Der war besonders wirksam, wenn er zu jemandem aufschaute wie jetzt. Etwas angelehnt an Dominic Guards Leo in dem Film
Der Mittler
. Eine Art irritierte Ehrlichkeit.
    »Er … er brachte mich zum Weinen, Sir, und es war mir zu peinlich, flennend hier reinzukommen, also bin ich weggegangen und hab mich im Musikzimmer versteckt, bis es mir besser ging.«
    Das alles war ziemlich niederträchtig dem armen alten Biffen gegenüber, dessen schneeweißes Haar und immerwährenden Ausdruck gütigen Erstaunens Adrian geradezu verehrte. Und »flennen« … Flennen verschwand zusammen mit »geziemend« und »kolossal«. Aber eigentlich gar nicht so schlecht, damit neu anzufangen. Die Pennälersprache der Zwanziger könnte eine Renaissance vertragen.
    »Oje. Aber ich bin sicher, der Geistliche hatte gute Gründe, so … ich meine, Dr. Meddlar würde doch nicht grundlos so schroff zu Ihnen sein.«
    »Also ich gebe zu, daß ich frech zu ihm war, Sir. Aber Sie kennen ihn ja.«
    »Er ist, davon bin ich überzeugt, ein gewissenhafter und gerechter Mensch.«
    »Ja, Sir. Ich – ich möchte keinesfalls, daß Sie glauben,ich würde Sie belügen, Sir. Ich bin sicher, Dr. Meddlar wird Ihnen die Geschichte aus seiner Sicht erzählen, wenn Sie ihn darum bitten.«
    »Das werde ich nicht tun. Ich weiß, wann ein Junge mir die Wahrheit sagt und wann nicht.«
    »Danke, Sir.«
    Den Teufel wußte er. Wußten die doch nie.
    »Ich möchte Ihnen weder die Leviten lesen, Healey, noch Sie von Ihrer morgendlichen Pause abhalten, aber Sie müssen sich darüber im klaren sein, daß zahlreiche Mitglieder des Lehrkörpers allmählich die Geduld verlieren. Haben Sie vielleicht das Gefühl, daß sie Sie nicht verstehen?«
    »Ich glaube, das Problem ist,
daß
sie mich verstehen, Sir.«
    »Ja. Sehen Sie, das ist genau so eine Bemerkung, die so manchen Lehrer garantiert aufbringt, nicht wahr? Für Neunmalklugheit wird man nicht gerade bewundert. Nicht nur auf der Schule. Niemandem gefällt das, egal, wo. Jedenfalls nicht in England.«
    »Jawohl, Sir.«
    »Sie sind der schlaueste Bursche in meiner Französischklasse. Das wissen Sie ganz genau. Aber Sie haben noch nie gearbeitet. Das macht Sie zum dümmsten Schüler der Schule.«
    Als nächstes kommt das Gleichnis von den Talenten, wetten?
    »Auf welche Universität wollen Sie?«
    »Also, na ja, Sir … wissen Sie. Nach den Advanced Levels hab ich von Bildung, glaub ich, wirklich die Nase voll. Und sie wahrscheinlich von mir.«
    »Verstehe. Sagen Sie, haben Sie freitags nachmittagsetwas vor, Healey? Ich nehme nicht an, daß Sie in der Cadet Force sind.«
    »Die haben mich rausgeschmissen, Sir. Es war ungeheuerlich.«
    »Ja, kann ich mir vorstellen. Also Sozialdienst, ja?«
    »Ja, Sir. Ich besuche eine kleine alte Dame.«
    »Gut«, sagte Biffen und verstaute Übungshefte in seiner Aktentasche, »in der Morley Road gibt es eine kleine alte Dame und

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