Der Luftraum darf nicht mit dem Fahrrad verletzt werden - Gesetzliche Kuriositäten und bürokratische Monster
sie den Fuß auf die Rolltreppe, noch einen Augenblick
verschnaufen beim gemächlichen Rollen nach oben, als sie verblüfft innehält – das rot umrandete Schild mit durchgestrichenem Kinderwagen-Symbol ist eindeutig.
Sie zerrt also Kind und Kinderwagen gegen den Strom der nachdrückenden Passanten weg von der Rolltreppe. Ihr suchender Blick findet schließlich einen Hinweis auf den Aufzug, den sie noch nie benutzt hat, weil sie dafür quer durch den Bahnhof laufen muss.An der Aufzugtür hängt ein unscheinbarer weißer Zettel, den man erst sieht, wenn man direkt davorsteht:Außer Betrieb.
Inzwischen quengelt der Zweijährige. Für den Säugling naht die Fläschchen-Zeit. Die Mutter schwitzt. In der Ferne sieht sie die Treppe.Als sie, den Zweijährigen hinter sich herzerrend, den Treppenabsatz erreicht, ist sie völlig allein im U-Bahn-Geschoss. Der Säugling ist aufgewacht, heult, die Treppe hat mindestens 54 Stufen, der Zweijährige heult ebenfalls.
! Mit der neuen Sicherheitsnorm EN 115 hat die EU jungen Eltern mit kleinen Kindern doch einen richtig großen Gefallen getan. Seit 1.Januar 2010 verbietet sie, Kinderwagen auf Rolltreppen zu befördern. Für die Kinder zu gefährlich, so die Begründung. Denn es habe immer wieder schwere Unfälle auf Rolltreppen gegeben – sogar einen tödlichen, ist aus der zuständigen Arbeitsgruppe der EU zu vernehmen. Das Verbot diene dem Schutz der Kinder – und ihrer Eltern, denen man in Brüssel natürlich keinerlei eigenes Verantwortungsgefühl zugesteht.Wie gefährlich es aber ist, einen Kinderwagen ohne Hilfe eine steile und lange Treppe hinauf oder auch hinunter zu befördern, weiß jeder, der es schon einmal selbst probiert hat. Und was Bahnhofsaufzüge angeht, so empfiehlt es sich im Allgemeinen, sie möglichst großräumig zu meiden. Ein Trost aber bleibt allen Müttern und Vätern
mit Kinderwägen, Buggys, Joggern, mit und ohne Babyschale: Bei EN 115 handelt es sich um eine Norm, nicht um ein Gesetz. Und das bedeutet: Zuwiderhandlungen werden nicht verfolgt.
Von langen Unterhosen und ästhetischen Einblicken
Nein, Arjen Robben, holländischer Stürmerstar beim FC Bayern, ist nicht einer EU-Richtlinie gefolgt, als er im Winter 2009/2010 seine langen, grauen Unterhosen auspackte und unter die Shorts zog. Es war ihm wohl schlichtweg zu kalt in der Münchner Arena.
Die Brüsseler Gurkentruppe hat sich allerdings auch schon einmal mit der Arbeitskleidung der Euro-Bürger befasst und sie mit der so genannten „Sonnenscheinrichtlinie“ vor der Strahlung des Sterns schützen wollen. Nach dem Einschreiten des EU-Parlaments und massiver Panik bayerischer Dirndl-Liebhaber wurde das Gesetz allerdings entschärft. Nun bleibt es den europäischen Staaten selbst überlassen, welche Maßnahmen sie zum Schutz ihrer Angestellten ergreifen. Man könnte sich vorstellen, dass die in Finnland anders aussehen als am Südzipfel Italiens, im einen Fall brennt die Sonne tatsächlich erbarmungslos vom Himmel, im anderen sieht man sie dafür regelmäßig ein halbes Jahr lang gar nicht.
Nun bleiben uns aber, Brüssel zum Trotz, die Dekolletés auf dem Oktoberfest und in den bayerischen Biergärten erhalten, das Dumme ist nur: Gegen die grauen Unterhosen von Arjen Robben gibt es keine EU-Richtlinie. Leider. So etwas wie einen Ästhetikparagrafen könnten wir uns gut vorstellen!
Auf der falschen Straßenseite
Zum 1. Januar 2010 hat die Europäische Union Einheitlichkeit geschaffen, was das Maß-System ihrer Mitgliedstaaten angeht – zumindest, soweit es das Festland betrifft. Die Briten, die ja gern mal europäische Extrawürste braten, dürfen weiterhin in der Kneipe ein Pint Ale oder Lager bestellen. Ihr Gold wird nach wie vor in der Fein-Unze abgewogen und die Strecke von London nach Liverpool wird auch künftig nicht in Kilometern, sondern in Miles (Meilen) gemessen. Gleiches gilt übrigens auch für die Republik Irland. Dabei gibt es zwischen den einander in herzhafter Feindschaft verbundenen Inselnachbarn einen entscheidenden Unterschied: Das Vereinigte Königreich bezahlt mit dem altehrwürdigen Pfund, die Iren mit einem Rettungsschirm.Aber sonst sind sie einander in ihrer ganzen Exotik so ähnlich, dass man sie mit ihren merkwürdigen Maßeinheiten als liebenswürdiges Biotop akzeptieren muss.
Und man sollte das Auto in London und in Dublin auf die richtige Straßenseite lenken, schließlich würde uns hier eine Protestaktion im besten Fall in den Graben führen. Und dann:
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