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Der Luftraum darf nicht mit dem Fahrrad verletzt werden - Gesetzliche Kuriositäten und bürokratische Monster

Der Luftraum darf nicht mit dem Fahrrad verletzt werden - Gesetzliche Kuriositäten und bürokratische Monster

Titel: Der Luftraum darf nicht mit dem Fahrrad verletzt werden - Gesetzliche Kuriositäten und bürokratische Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman
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weitaus liebevoller klingt – vom Paradeiser. Dieser himmlische Name schützt sie aber auch nicht vor der ziemlich weltlichen Normierungswut der EU-Bürokraten. Nein, vielmehr ist sie ein Musterbeispiel an Normerfüllung. Per se frei von unappetitlich normabweichenden Krümmungen, ist sie praktisch die von Gott gegebene Idealbesetzung als Objekt eurokratischen Regulierungswahns. Keine fügt sich so gleichmäßig in die Supermarkt-konforme Pappschachtel wie sie, und das nicht nur, wenn sie aus Holland kommt. Die Sonne hat sie in ihrem alles andere als „paradeisischen“ Tomatenleben noch nie gesehen und, selbst wenn wir damit allen holländischen, spanischen, französischen Tomatenproduzenten auf die Füße treten – genau so schmeckt sie auch. Wie eine rot angemalte Wasserbombe.

    Tatsächlich aber sind gerade die Niederländer, deren Tomaten lange Zeit absolut verpönt waren, Vorreiter in Sachen biologischen Pflanzenschutzes. Sie sind auch konkurrenzlos, was die Entwicklung neuer Sorten angeht. Cocktail-, Strauch-, Kirsch-, Flaschen-oder Fleischtomate – alles Produkte der holländischen Kreativität. Und sie alle sehen wunderbar aus, wenn sie da so schön gestapelt im Regal liegen oder sich in perfekter Regelmäßigkeit und EU-genormt
um kleine Zweige gruppieren, die auch ganz delikat riechen, wenn man die Nase in die Gemüsetüte steckt. Das böse Erwachen kommt beim Biss ins rote Nass: Fad wie ein Holzschuh, allenfalls ein Abklatsch einer Tomate – vom Paradies Lichtjahre entfernt.

    Die eurokratische Regelungswut geht aber noch viel weiter. Selbst wenn die Tomate längst ihrer prallen Form beraubt, zerhackt, zerteilt, gepresst ist, vielleicht in ordentlichen Vierteln eine Pizza schmückt oder in Flockenform getrocknet in einem Karton verschwunden ist, schwebt das Fallbeil der europäischen Inquisition über dem armen, gemarterten Objekt, droht das unendliche Fegefeuer der mangelnden Wertigkeit. Hier die tragischsten Formulierungen:

    §
    Geschälte Tomaten müssen frei sein von erzeugnisfremdem Geschmack und Geruch; ihre Farbe muss für die verwendete Sorte und für ordnungsgemäß verarbeitete geschälte Tomaten kennzeichnend sein.

    §
    Tomatenflocken müssen eine charakteristische rote Farbe und einen kräftigen Geschmack aufweisen.

    §
    Tomatensaft und Tomatensaftkonzentrat müssen eine charakteristische rote Farbe und einen kräftigen Geschmack aufweisen, der für ein sachgerecht verarbeitetes Erzeugnis kennzeichnend ist.
    Und schließlich die Mutter aller Verordnungen zur Verarbeitung der guten alten Tomate:

    §
    Geschälte Tomaten müssen praktisch frei sein von Schalen. Da hätten wir auch noch ein paar Verordnungen Marke Eigenbau im Köcher.Wie wäre es mit: Gebrauchte Autos dürfen nicht neu sein. Oder: Rucksäcke muss man auf dem Rücken tragen können.
    Eine Pizza ist eine Pizza ist eine Pizza
    Auch mit unser aller Lieblingsgericht nimmt man es in Europa ganz genau. Jenes traditionelle Arme-Leute-Essen aus Mehl, Wasser, Salz und einem bisschen Olivenöl, entstanden in den Küchen Neapels und – einer Legende nach – bis in den Speisesaal König Umbertos I. und seiner Frau Margherita im Jahr 1889 vorgedrungen, hat man in Brüssel jeglicher italienischer Gaumenfreude zu berauben versucht. Also kein „bravo oder magnifico“ für den Pizzabäcker, der mit Schürze und Kochmütze zwischen Töpfen und gehacktem Knoblauch den Teigfladen durch die Luft sausen lässt.

    Stattdessen ein betretenes Beifallklopfen für ein paar Salonlöwen, die in einem klinisch reinen Brüsseler Bürokasten Paragrafen reiten, in einer Stadt, die vielleicht für ihre Waffeln bekannt ist, ihre zart schmelzenden Pralinen, ihr süffiges Bier und ihre fettigen Pommes frites, aber nicht für ihre Hinwendung zu italienischer Genussfreude.
    Also haben die Eurokraten in ihrer Pedanterie aufs Allergenaueste festgelegt, was man denn da isst, wenn man sie isst, die Margherita oder Marinara genannten Originale. Wenn sie also eine echte Europea sein möchte, hat sie sich den europäischen Vorgaben zu fügen:

    §
    Eine Pizza muss beim Anfassen und im Biss weich sein.
    In einer neuen Verordnung von 2008 heißt es, sie müsse:

    §
    einen charakteristischen Duft verströmen, und was ihren Belag angeht, so soll

    §
    das Rot der perfekt mit dem Öl vermischten Tomate und, je nach verwendeten Zutaten, das Grün des Oregano und das Weiß des Knoblauchs ins Auge fallen.
    Damit soll sie farblich auf ihre Herkunft verweisen. Es wird im

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