Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Maedchenmaler

Der Maedchenmaler

Titel: Der Maedchenmaler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
Vom Netzwerk:
erst Mut fassen, um zu sprechen. Oder als sei er mit etwas anderem beschäftigt.
    »Melzig. Guten Tag, Frau Thalheim.«
    Es war ein Schock, seine Stimme zu hören. Alles war wieder da. Sogar die Angst.
    »Wie geht es Ihnen?«
    Sie wusste, dass es ihm ernst war mit der Frage. Er war nicht der Typ, der sich mit Höflichkeitsfloskeln aufhielt.
    »Ich habe Probleme«, antwortete sie ehrlich. »Wie damals.«
    Damals. Dabei war es noch gar nicht lange her.
    »Wegen Ihrer Tochter.«
    »Ja. Ich habe das Gefühl, sie spielt wieder mit dem Feuer.« Es tat ihr gut, mit ihm zu reden. Es war wie in ihrer Kindheit, wenn sie mit dem völlig verkorksten Strickstrumpf aus der Schule kam und ihn ihrer Mutter übergab, damit sie ihn rettete. Jetzt gab sie ihren Kummer an Bert Melzig ab.
    »Ich habe Jette und Mike zurückgepfiffen«, sagte er. »Aber ich bezweifle, dass es was nützt.«
    Seine Worte rückten die Welt tatsächlich ein wenig zurecht. Sie fasste erneut Vertrauen zu ihm. Allein das war ihr schon eine Hilfe.
    »Gibt es etwas Neues?«, fragte sie.
    Er zögerte. »Wir verfolgen sämtliche Spuren«, sagte er dann. »Heute ist ein Foto von dem Mädchen in beiden Tageszeitungen erschienen. Das wird uns hoffentlich ein Stück weiterbringen.«
    »Was halten Sie von der Entführungstheorie?«
    »Noch gibt es keine konkreten Anhaltspunkte dafür.«
    Er machte eine Pause, und Imke spürte verwundert, dass sie wünschte, er würde nicht aufhören zu sprechen. Sie mochte seine Stimme und seine bedächtige Art. Sie schätzte es, dass er nicht auf jede Frage eine Antwort parat hatte.
    »Keine Zeugenaussagen?«
    »Nein. Es gibt niemanden, der etwas beobachtet hat. Auf der anderen Seite haben wir Hinweise auf psychische Probleme.«
    »Sie denken an Selbstmord?«
    »Nicht unbedingt. Vielleicht ist das Mädchen einfach verwirrt und hat die Orientierung verloren.«
    Das war mehr, als er ihr hätte erzählen dürfen. Imke wusste das zu schätzen.
    »Mein neues Buch ist bald fertig«, sagte sie. »Es wird zum Herbst erscheinen. Darf ich Ihnen ein Exemplar schicken?«
    »Ist es das Buch, für das Sie bei unserer ersten Begegnung recherchiert haben?«
    »Genau das.«
    »Dann würde ich mich sehr darüber freuen.«
    Er erkundigte sich noch nach dem Stand der Einbruchsermittlungen, die allerdings bisher nichts ergeben hatten, dann verabschiedeten sie sich, und Imke stellte sich ans Fenster und sah hinaus. Der lange, kalte Winter hatte eine Pause eingelegt. Die Sonne schien. Gelb und warm lag das Licht auf den Wiesen. Der Bussard, der damit beschäftigt gewesen war, sich emsig das Gefieder zu putzen, breitete die Flügel aus und erhob sich langsam und kraftvoll in die Luft. Es kam Imke vor wie ein Zeichen. Wie die Aufforderung, ihre Tochter loszulassen. Sie nahm sich vor, nicht schon wieder bei ihr anzurufen.
     
    Das Licht war ideal. Es fiel schräg durch die Fenster. Ilkas Gesicht wurde zur einen Hälfte erhellt, die andere blieb im Schatten. Ihr Haar schien zu glühen. Es kam Ruben so vor, als hätte sich das Rot in den vergangenen Jahren noch vertieft. Es konnte wie Kupfer schimmern oder wie altes Gold, manchmal hatte es den Ton roter Erde und manchmal war es wie Feuerschein.
    Ruben hatte mit Bert Melzig einen Termin am Nachmittag abgemacht. Er verdrängte die Gedanken daran. Jetzt wollte er sich auf Ilka konzentrieren. Sie trug einen langen schwarzen Rock und einen eng anliegenden schwarzen Pulli, der Hals und Schultern frei lieߟ. Sie hatte die Sachen nicht anziehen wollen, aber Ruben hatte damit gedroht, sie sonst nicht mit nach oben zu nehmen. Da hatte sie sich seinem Wunsch gefügt.
    Seitdem hatte sie kein Wort mehr gesprochen, nur stumm ihre Haltung verändert, wenn er sie darum gebeten hatte. Sie war blass und hatte Schatten unter den Augen, doch das verstärkte nur ihre Ausstrahlung. Es gab ihr etwas Vergeistigtes, das einen reizvollen Kontrast zu ihrem jungen Gesicht bildete.
    Rubens Finger führten die Kreide zügig übers Papier. Sie zögerten nicht, setzten jeden Strich an die richtige Stelle. Er hatte gerade überlegt, dass aus diesen Zeichnungen eine Serie entstehen könnte. Eine, die er niemals verkaufen würde. Weil sie nur ihn und Ilka betraf.
    »Sag doch was«, bat er. »Hock nicht so stumm da.«
    Statt ihm zu antworten, fing sie an zu weinen. Nicht laut, nicht dramatisch. Still liefen ihr die Tränen über die Wangen. Bestürzt legte er die Kreide weg und ging vor ihrem Stuhl in die Hocke. Vorsichtig zog er sie in seine

Weitere Kostenlose Bücher