Der Maedchenmaler
allen Mut zusammen, kehrte ins Bad zurück und schaute in den Spiegel. Die Haare standen ihr unregelmäßig und widerborstig vom Kopf ab. Sie hatte sich keine Mühe gegeben, sie in Form zu bringen, und würde es auch jetzt nicht tun.
Einmal hatte sie einen Film über eine junge Frau gesehen, die im Mittelalter als Hexe verurteilt worden war. Der hatte man auch die Haare abgeschnitten. Genau so.
Das Gesicht im Spiegel war das einer Fremden. Sie fürchtete sich ein wenig vor diesem Mädchen mit den ernsten, finsteren Augen. Und sie beneidete es. Denn das fremde Mädchen war sicher in seiner Welt hinter dem Glas.
Kapitel 23
Diesen Kommissar durfte man nicht unterschätzen. Er erledigte nicht nur seine Arbeit - er war begabt dafür. Ruben hatte seine Intelligenz gespürt und seine Dünnhäutigkeit. Er hatte beobachtet, wie geschickt er das Gespräch aufgebaut hatte. Unter seinem scharfen Blick hatte er sich beinahe unbehaglich gefühlt.
Aber er war mit sich zufrieden. Er hatte ein Glanzstück an Selbstbeherrschung abgeliefert und war in keine der Fallen getappt, die der Kommissar, absichtlich oder nicht, aufgestellt hatte. Ob es weitere Gespräche geben würde, stand in den Sternen. Auf jeden Fall sollte er gewappnet sein.
Judith erwartete ihn. Sie hatte für heute zwei telefonische Interviews vereinbart. Anschließend wollten sie ein paar Dinge besprechen. Vielleicht würde er bis morgen bleiben.
Ilka würde es überleben. Man verhungerte nicht an einem Tag. War es nicht sogar so, dass Fasten die Gedanken klärte? Das hatte sie dringend nötig. Sie würde seine Langmut und Geduld nicht länger strapazieren. Ab jetzt würde er andere Saiten aufziehen.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah er ein Caffee. Er beschloss, vor der Fahrt zu Judith einen Kaffee zu trinken und eine Kleinigkeit zu essen. Er hatte sich eine Verschnaufpause verdient.
Die Skepsis war meiner Mutter deutlich anzumerken, doch erstaunlicherweise stellte sie keine Fragen. Sie gab mir einfach ihre Autoschlüssel und die Papiere und nahm im Tausch dagegen meine.
»Der erste Gang klemmt«, erklärte ich ihr. »Wenn du an einer Ampel halten musst, ist es am besten, schon beim Ausrollen in den ersten Gang runterzuschalten und die Kupplung zu treten, bis du wieder losfahren kannst.«
»Prächtig«, sagte meine Mutter. »Und wann bringst du mir den Wagen zurück?«
»Morgen?« Ich schmatzte ihr einen Kuss auf die Wange. »Übermorgen?«
»Spätestens.« Sie schaute mir nach, wie ich zu ihrem Wagen ging. »Und fahr vorsichtig!«
Der Audi schnurrte gemütlich vor sich hin, während rechts und links die Landschaft vorbeiglitt. Mit ihm würde ich es in gut zwei Stunden nach Togstadt schaffen. Mein Gefühl sagte mir, dass ich mich nicht mit einem Telefongespräch zufrieden geben sollte. Ich wollte Ruben Helmbach Auge in Auge gegenüberstehen, wenn ich ihn nach Ilka fragte. Und das so bald wie möglich.
Vielleicht würde ich Mike überreden können, mich zu begleiten. Am besten jetzt gleich. Auf Merle mussten wir leider verzichten. Sie war auf einem Tierschützertreffen, wo neue Aktionen geplant werden sollten. Das würde den ganzen Abend und bestimmt noch die halbe Nacht dauern.
Zu Hause empfing mich ein Zettel, der auf dem Küchentisch lag:
Bin nach Glogau gefahren. Habe einen Termin bei Hartmut Schatzer (Galerist) bekommen. Kann spät werden. Melde mich von unterwegs. Mike.
Ich machte mir einen Kaffee und überlegte, was ich tun sollte. Als das Telefon klingelte, hatte ich keine Zweifel, dass es Mike war.
»Na, du Hyperaktiver?«, meldete ich mich.
Ich war ein bisschen sauer, weil er nicht auf mich gewartet hatte. Wir hätten uns absprechen können, wie sonst auch. Doch dann fiel mir ein, dass ich die Entscheidung, den Wagen meiner Mutter auszuleihen, ebenfalls ziemlich einsam getroffen hatte. Wir waren also quitt.
»Und da behauptet meine Frau immer, ich wär behäbig und träge.«
Ich erkannte seine Stimme sofort. Es war mir furchtbar peinlich. »Entschuldigung«, stammelte ich. »Ich dachte, es wäre Mike.«
Der Kommissar lachte. »Das heißt, Mike ist zurzeit nicht da?«
»Nein. Er ist unterwegs.«
»Und Merle?«
»Ebenfalls.«
»Zu dumm. Ich hätte Sie gern noch einmal gesprochen. Sie alle.«
»Gibt es Neuigkeiten?« Mein Herzschlag stockte. Auch Caro hatte anfangs als vermisst gegolten. Und plötzlich war sie tot gewesen.
»Leider nein. Nicht die Neuigkeiten, die Sie sich erhoffen. Aber ich hatte gerade
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