Der Maedchenmaler
trösten. Sie hat hier viele Nester angelegt, von denen keiner außer Ruben weiß. Darin hat sie Steine vergraben, Vogelfedern und Tannenzapfen. Sie buddelt ein paar Steine aus und nimmt sie mit zum Teich.
Die meisten Steine sind grau. Wie Regenhimmel. Wenn man sie nass macht, kommen die Farben hervor. Rot und Grün, Blau und Weiß, Schwarz und Braun und manchmal Gelb.Jeder Stein ist anders. Ilka würde sie nie verwechseln.
Vielleicht mag sie Steine wegen Ruben so sehr. Weil sie sind, wie sie sind, nicht lustig, nicht traurig, nur schön.
»Er ist nicht weggeflogen ohne mich«, sagte Ilka. »Er hätte mich nie allein gelassen.«
»Von wem sprechen Sie?«
Sie hatte Lara vergessen. War wieder abgetaucht. Wie viel hatte sie verraten?
Wenig offenbar, denn Lara sah sie verständnislos an.
»Von meinem Bruder«, sagte Ilka. Sie konnte ihn auf Dauer nicht verschweigen, also war es besser, ihn vorsichtig ins Gespräch zu bringen. Wenn sie die Kontrolle behielt, würde ihr nichts passieren.
Kapitel 7
Ruben arbeitete in seinem Atelier. Es war ein trüber Tag mit diffusem Licht, doch das machte ihm nichts aus. Einige seiner besten Bilder hatte er in der Nacht gemalt. Bei künstlichem Licht wirkten die Farben oft plastischer. Künstliches Licht zeigte ihm außerdem brutal und schonungslos die Fehler, um die er sich tagsüber gern herummogelte.
Das Atelier war in einem Anbau untergebracht. Ruben hatte den Wohnbereich bewusst vom Arbeitsbereich getrennt, obwohl es für einen Maler ein Privatleben eigentlich gar nicht gab. Aber er konnte es nicht ausstehen, wenn die Leute immer wieder versuchten, einen Blick auf die Bilder zu erhaschen, an denen er gerade malte.
Im Haus war Judith damit beschäftigt, Ordnung und Sauberkeit in sein Chaos zu bringen. Sie arbeitete seit zwei Jahren bei ihm, putzte, bügelte, kochte, brachte den Garten in Schuss, erledigte seine Büroarbeit. Sie studierte Germanistik und Kunstgeschichte und entwarf nebenher auch noch Accessoires für eine kleine Boutique in der Altstadt. Wie sie das alles auf die Reihe brachte, war Ruben ein Rätsel.
Judith war ein Ausbund an Energie, immer gut gelaunt, obwohl ihr Privatleben einer Berg- und Talbahn glich. Sie zog die falschen Männer an, blieb ein paar Wochen mit ihnen zusammen und suchte dann wieder nach einem neuen.
»Irgendwann find ich den Richtigen«, sagte sie, wenn Ruben sie darauf ansprach. Davon schien sie fest überzeugt. Er sah es in ihren Augen, die voller Zuversicht waren.
»Der Richtige, das ist doch nur ein Mythos«, hatte Ruben ihr einmal gesagt, »dem wir aufsitzen, bis wir anfangen, darüber nachzudenken.«
»Warte nur ab, bis du der Richtigen begegnest«, hatte sie ihm lächelnd geantwortet und war wieder an ihre Arbeit gegangen.
Ruben hatte beschämt das Zimmer verlassen. Er wusste doch genau, dass die Richtige alles andere als ein Mythos war. Was zwang ihn zu diesem ständigen Sarkasmus?
»Selbstschutz«, murmelte er jetzt, während er auf der Palette das Ocker mischte, das er für die Mauer brauchte. Sein ganzes Leben war ein Versteckspiel gewesen. Nie hatte er seine Gefühle zeigen dürfen. Immer aufpassen müssen, dass er nicht zu vertrauensselig wurde oder zu viel trank, denn Alkohol löste die Zunge, und das war gefährlich.
Nur in seinen Bildern erzählte er seine Geschichte, zu gut verborgen, als dass irgendjemand sie hätte entdecken können. Es hatten sich schon so viele mit seinem Werk auseinander gesetzt, Professoren, Journalisten, Studenten. Sie vermuteten zwar, dass es eine Muse gab, aber sie fanden keinen konkreten Anhaltspunkt. Sie meinten zwar, in dem Mädchen, das er wieder und wieder malte, ein und dasselbe Modell zu erkennen, konnten es jedoch nicht ausfindig machen. Es machte ihm Spaß, sie an der Nase herumzuführen, ihnen immer wieder ein Puzzleteilchen hinzuwerfen und zu sehen, dass sie nichts damit anfangen konnten. Es war ein Spiel mit dem Feuer, aber er war ein guter Spieler. Sie würden ihm nie auf die Schliche kommen.
Judith erschien in der Tür und reichte ihm die Post. Sie stellte ihm auch einen Kaffee hin, denn sie wusste, dass er beim Malen das Essen und Trinken vergaß. Es kam vor, dass er zwei Tage durcharbeitete, ohne einen Bissen zu sich zu nehmen. Danach sah er aus wie von den Toten auferstanden, blass und hohlwangig und ein bisschen irr.
Nachdem Judith wieder gegangen war, trank er den Kaffee und warf einen Blick auf die Post. Die Zeitschrift
Handwerk und
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