Der Maedchenmaler
ungewöhnlich, vor allem nachdem sie den gesamten Vormittag im Haus verbracht hatten. Normalerweise schossen sie hinaus, sobald die Tür sich öffnete.
Sie empfingen mich mit vorwurfsvollem Maunzen und Klagen. Vielleicht war Vollmond. Oder sie kamen in die Jahre und wurden sonderbar. Auf dem Weg zur Treppe liefen sie mir dermaßen hektisch vor den Füßen herum, dass sie mich beinah zu Fall brachten. Edgar schlug nach Molly und sie sprang ihn wütend an.
Das war noch nie passiert. Wenn sie miteinander kämpften, dann spielerisch. Sie taten sich dabei nicht weh. Jetzt hatten sie sich ineinander verbissen, ein knurrendes Fellbündel, das vor der Treppe hin und her rollte. Ich hütete mich dazwischenzugehen. Kopfschüttelnd stieg ich über sie hinweg.
Der Schreibtisch meiner Mutter sah aus, wie er immer aussieht, wenn sie unter Zeitdruck schreibt. Als wäre sie nur kurz aufgestanden, um sich einen Kaffee zu holen. Überall lagen Blätter, aufgeschlagene Bücher, Briefe. Aber meine Mutter war nicht in der Küche. Sie war unterwegs und sie hatte den Schreibtisch vor ihrer Abreise gründlich aufgeräumt.
Die Härchen in meinem Nacken richteten sich auf, als ich das Arbeitszimmer betrat. Ich blieb stehen. Jemand hatte das Regal durchwühlt. Die meisten Bücher waren herausgefallen und türmten sich zu einem wüsten Haufen auf dem Boden.
Langsam bewegte ich mich rückwärts zur Tür und horchte. Absolute Stille. Ich zog die Schuhe aus und schlich über den Flur zum Schlafzimmer, wo meine Mutter ihren Schmuck aufbewahrt. Die Schranktüren standen offen. Handtücher und Wäsche lagen achtlos über den Boden verstreut. Die Schubladen der Kommode waren herausgerissen und umgekippt worden. Der Schmuckkoffer war nicht mehr da.
Die Katzen waren ins Zimmer geschlüpft und umkreisten das Chaos vorsichtig. Nervös schlugen sie mit dem Schwanz. Edgar starrte mit großen Augen in den Flur und wich plötzlich fauchend zurück.
Unten fiel mit lautem Knall die Haustür ins Schloss.
Mein Hals war wie zugeschnürt. Ich bekam kaum Luft. Die ganze Zeit war jemand im Haus gewesen! Ruhig. Ich durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Wahrscheinlich war der Eindringling (oder waren es mehrere?) aus dem Haus gerannt und ich war allein. Wahrscheinlich.
Oben auf dem Feldweg heulte ein Motor auf. Reifen quietschten. Ich hatte kein Auto bemerkt, als ich angekommen war. Das Telefon. Ich musste zurück ins Arbeitszimmer. War ich wirklich allein?
Ich horchte. Hielt den Atem an. Schlich vorsichtig über den Flur. Hielt weiter den Atem an. Erst im Arbeitszimmer schnappte ich nach Luft. Das Telefon stand auf dem alten Nähtisch, daneben lag das Adressbuch meiner Mutter. Beide Nummern von Bert Melzig, seine private und die von seinem Büro, waren mit Rotstift eingetragen. Ich wusste, warum. Aber meine Mutter hatte sie damals ganz sicher auswendig gewusst.
Er war sofort am Telefon. Anscheinend freute er sich, denn ich konnte in seiner Stimme ein Lächeln hören. »Jette! Das ist aber eine nette Überraschung.«
»Ich kann nicht laut sprechen«, sagte ich. »Bei meiner Mutter ist eingebrochen worden, und ich weiß nicht, ob noch einer von denen im Haus ist.«
»Ist Ihre Mutter bei Ihnen oder sind Sie allein?«
»Ich bin allein.«
»Dann rühren Sie sich nicht von der Stelle. Verhalten Sie sich ganz still. Und haben Sie keine Angst. Ich bin in ein paar Minuten bei Ihnen.«
Ich behielt das Telefon in der Hand und kauerte mich in die Ecke zwischen Sofa und Regal. Mir war hundserbärmlich übel und ich war nass geschwitzt. Die Katzen legten sich neben mich, schnurrten und leckten mir die Hand. Es war vorbei. Ich wusste, dass mir keine Gefahr mehr drohte.
Hauptkommissar Bert Melzig fuhr die Landstraße entlang und bog dann auf den Weg ab, der zu der alten Mühle führte. Erinnerungen stürmten auf ihn ein. Erinnerungen an lange Nächte, in denen er keinen Schlaf gefunden hatte, weil ihn die ungelösten Serienmorde beschäftigten. Erinnerungen an das Mädchen Caro. An Jette. Und an ihre Mutter, die ihm viel zu nahe gekommen war, ohne es zu merken.
Wie oft war er in dieser Gegend gewesen. In welche Strudel von Gefühlen war er dabei geraten. Es kam alles wieder in ihm hoch.
Wochenlang hatten die Zeitungen mit höchst emotionalen Artikeln über den
Halskettenmörder
die ohnehin schon negative Stimmung in der Bevölkerung angeheizt. Der Chef war unter Druck geraten und hatte ihn ungefiltert an seine Leute weitergegeben. Und dann
Weitere Kostenlose Bücher