Der Maedchenmaler
ablenken. Ich hatte schon viel zu viel Zeit mit dem Tod verbracht.
Caro. Wo war sie jetzt? Ging es ihr gut?
Beim Kreisel kehrte ich um. Meine Kraft reichte nicht aus für einen langen Vormittag in der Schule. Ich brauchte Ruhe. Und Schlaf. Damit ich aufhören konnte mit diesen Gedanken, die mich seit damals quälten.
Damals. Als alles aufgehört hatte.
Ruben hatte sich mit der Architektin verabredet und war auf dem Weg zu ihr. Sie traf keine wichtige Entscheidung, ohne sich vorher mit ihm zu beraten. Es war nicht leicht gewesen, sie zu erziehen. Anfangs hatte sie ganz die erfolgreiche Geschäftsfrau raushängen lassen, die ihre Schritte nicht zur Diskussion stellte. Aber er hatte ihr klar gemacht, dass er es war, der sie bezahlte. Irgendwann hatte sie es begriffen. Geld war letztlich immer ein unschlagbares Argument. Was würde er nur tun, wenn er keins hätte? Ihn fröstelte und er stellte die Heizung höher. Er besäße nicht diesen Wagen, nicht das Haus, in dem er lebte, er hätte das ganze Projekt nicht starten können. Manchmal war ihm danach, auf die Knie zu fallen und den Göttern zu danken. Für sein Talent. Und für das Glück, das ihm den Weg nach oben geebnet hatte.
Vor allem aber war er für die reichen Pinkel dankbar, die so auf seine Bilder abfuhren, dass sie die neuen schon kauften, bevor die alten richtig getrocknet waren. Ruben Helmbach war Kult. Und die gesamte Szene balgte sich dankbar um die Brocken, die er ihnen hinwarf.
Dass er sich selten zeigte, nahm man ihm nicht übel. Im Gegenteil. Es machte ihn erst recht interessant. Ein gewisses Maß an Menschenscheu war gut für die Legende, die sich um ihn zu ranken begann.
Sein Erfolg nahm groteske Formen an. Neulich hatte ihm die Frau eines Fabrikanten sogar Geld für seine farbverschmierte Palette geboten. Demnächst würden sie ihm noch die ausgedienten Pinsel aus der Hand reißen und sie als Skulpturen in ihre Wohnzimmer stellen.
Ruben dachte an die Kollegen, die fast alle einen festen Job hatten, der ihnen die Malerei finanzierte. Die sich Blasen liefen, um eine Galerie zu finden, die ihre Bilder ausstellte. Die jahrelang an Kunsthochschulen studiert hatten.
Anders als sie war Ruben Autodidakt. Zwar hatte er bei Emil Grossack gelernt und bei Elisabeth Schwanau, aber die hatten ihn privat unterrichtet. Ruben konnte keine Urkunde, kein Zeugnis, kein Examen vorweisen. Er hatte nur seine Begabung.
Darüber hatte er sich jedoch noch nie den Kopf zerbrochen. Es war einfach so gekommen. Er war schon ein gefragter Maler gewesen, bevor sich die Frage nach einem Studium überhaupt gestellt hatte.
Die Malerei war alles für ihn. Oder doch beinahe alles. Was ihm fehlte, um wirklich glücklich zu sein, war Ilka, das Mädchen, das er liebte.
Sein
Mädchen.
Mike sah, wie sie das Fahrrad abstellte, und sein Herzschlag spielte verrückt. Er war in Ilka verliebt, seit er ihr zum ersten Mal begegnet war. Damals war sie aus dem Zimmer der Schulleiterin gekommen und hatte sich bei ihm nach dem Weg in den Musiksaal erkundigt.
Ihre Stimme. Sie war wie ein Blitz in seinen Kopf gefahren und hatte sich dort eingenistet. Er war sie nicht mehr losgeworden. Er hatte es auch gar nicht gewollt.
Aber er liebte nicht nur ihre Stimme. Er liebte auch ihr Lächeln, das immer noch schüchtern war und so, dass er wer weiß was getan hätte, um es zu beschützen. Er liebte alles an ihr. Die Grübchen, die neben den Mundwinkeln sichtbar wurden, wenn sie lachte. Ihre Augen, die braun waren, mit bernsteinfarbenen Sprenkeln. Ihre schmalen Hände. Und natürlich ihr Haar. Noch nie hatte er so schönes Haar gesehen.
»Hi.« Ilka stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Mike hätte sie zu gern an sich gezogen, ihr die Mütze abgestreift und das Gesicht in ihrem Haar vergraben. Es war so weich. Und es duftete so gut. Stattdessen stupste er mit dem Zeigefinger ihre Nase an. »Hi.«
»Wie ist es gelaufen?« Sie zog die Mütze ab und schüttelte ihr Haar aus.
»Ich hab heute Nachmittag einen Besichtigungstermin.«
»Prima!« Sie strahlte ihn an und drückte seinen Arm.
»Das heißt noch gar nichts.« Er baute nicht gern auf etwas so Wackliges wie Hoffnung. »Ich bin garantiert nicht der Einzige, den sie eingeladen haben. Und dann frag ich mich schon die ganze Zeit, warum zwei Mädchen einen Kerl in ihre Wohngemeinschaft aufnehmen wollen. Findest du das nicht seltsam?«
»Warum?« Ilka hatte sich bei ihm eingehakt. »Sie
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