Der Maedchenmaler
Mit einem Seufzen vertiefte Bert sich wieder in seine Notizen. Er hatte kein gutes Gefühl bei dieser Geschichte.
»Hast du dich beruhigt?«, fragte Ruben. Er balancierte das Tablett in den Flur und drückte die Tür mit der Schulter zu.
Ilka gab ihm keine Antwort. Sie lehnte an der Wand und musste sich anstrengen, nicht auf das Tablett zu starren, von dem ein köstlicher Duft aufstieg.
»Hackfleisch mit Schafskäse«, sagte Ruben. »Das magst du doch gern.«
»Es ist viel Zeit vergangen seit damals«, sagte Ilka vorsichtig.
Er warf ihr einen finsteren Blick zu. »Willst du damit sagen, dass sich dein Geschmack verändert hat?«
Fang keine Diskussion mit ihm an, dachte Ilka. Sei freundlich. Sie legte die Hand auf den vor Hunger schmerzenden Magen und folgte Ruben in die Küche.
»Heute Abend leiste ich dir Gesellschaft«, sagte Ruben und fing an, den Tisch zu decken. »Ich hab für uns beide gekocht.«
Ilka schaute ihm zu. Seine schmalen, dunklen Hände. Seine sehnigen Unterarme. Die Art, wie er sich bewegte. Das alles hatte ihr einmal gefallen. Er trug das Haar inzwischen kürzer, jedoch nicht so kurz, dass seine Locken verschwunden wären.
Was sie nicht an ihm kannte, war die Brille. Das Gestell war aus rötlichem Kunststoff. Sie hatte kleine, sechseckige Gläser mit einer leichten Grautönung.
»Ich brauche sie nicht immer«, erklärte Ruben. »Nur beim Autofahren und manchmal, wenn meine Augen strapaziert sind.«
Ilka zuckte zusammen. Waren ihre Gedanken immer noch so leicht für ihn zu lesen?
»Sie steht dir«, sagte sie. »Du siehst damit wie ein Professor aus.«
»Hoffentlich nicht.« Er lächelte. »Professoren bestehen nur aus Kopf. Der Rest ihres Körpers scheint sie nicht zu interessieren.« Er rückte Ilka einen Stuhl zurecht. »Komm, setz dich.«
Sie saßen einander gegenüber und Ruben füllte ihr auf. Ilka hatte das Gefühl, noch nie so gut gegessen zu haben. Sie bemühte sich, nicht zu schlingen, sondern jeden Bissen zu genießen. Ruben, der nur wenig aß, beobachtete sie amüsiert.
Ilka hatte sich vorgenommen, ihn nicht zu reizen, ihm keine Fragen zu stellen, sondern einfach abzuwarten. Sie hatte erfahren, was passierte, wenn sie ihn verärgerte. Er zog sich zurück und ließ sie hier unten schmoren. Was, wenn er nicht zurückgekommen wäre?
»Noch ein bisschen?«
Ilka nickte und reichte ihm den Teller. Nein, sie durfte ihn auf keinen Fall wütend machen. Sie musste versuchen, sich kooperativ zu zeigen.
»Freut mich, dass es dir schmeckt«, sagte Ruben. »Ich habe mir auch wirklich Mühe gegeben.«
Das Geplänkel strapazierte Ilkas Nerven. Sie konnten doch nicht hier am Tisch hocken und sich unterhalten wie ein Ehepaar. Wie war dein Tag, Liebling? Anstrengend, Schatz. Eine Konferenz nach der andern. Und deiner?
Sie warf ihre Vorsätze über den Haufen. »Ruben«, sagte sie behutsam, »wenn du mich sehen willst, dann können wir uns doch hin und wieder treffen. Dazu musst du mich nicht hier festhalten.«
»Sehen? Hin und wieder?« Er verzog abfällig den Mund. »Und du glaubst, das wär genug?«
Ilka trank einen Schluck Wasser. Um Zeit zu gewinnen. Sie bewegte sich auf schwankendem Boden, der jederzeit unter ihr nachgeben konnte.
Ruben beugte sich vor. »Ich will dich bei mir haben. Mit dir leben. Ich will dich beim Einschlafen in den Armen halten und morgens neben dir aufwachen. Ich will mit dir frühstücken. Mit dir Spaziergänge machen. Und dich malen, malen, malen. Ich will, dass du Teil meines Lebens bist.«
»Aber das geht nicht.« Ilka hob die Hand und legte sie an seine Wange. »Du kannst die letzten Jahre nicht auslöschen, Rub.«
Er war bei ihrer Berührung zusammengezuckt. Als er seinen Kosenamen hörte, lächelte er. In diesem Lächeln lagen so viel Schmerz und Zärtlichkeit, dass Ilka erschrak.
»Warum nicht, Liebste? Nenn mir einen einzigen Grund.«
Kapitel 16
Das kleine gelbe Haus strahlte keine Wärme mehr aus, obwohl Licht in den Fenstern war. Mike empfand es sogar fast als bedrohlich, wie es da in der Dunkelheit stand, Tür und Fenster fest geschlossen, als wollte es seine Geheimnisse um nichts in der Welt preisgeben.
Er zögerte nicht und hämmerte mit der Faust gegen die Tür.
Lara Engler trug hellgraue Pluderhosen und darüber einen weiten schwarzen Pullover, der ihr bis zu den Knien reichte. Mike registrierte das mit einiger Erleichterung. In dem roten Kleid hatte sie einschüchternd auf ihn gewirkt.
»Sie schon wieder?« Sie
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