Der Maedchenmaler
bleibt Ruben stehen. Das Nachtlicht liegt silbrig weiß auf dem Gras. Der Mond ist so klar zu sehen, dass man seine Krater mit bloßem Auge erkennen kann.
Ilka neben ihm atmet wie ein Vogel.
Eine Weile stehen sie so, dann wagt sie sich ein zweites Mal mit ihm in die Finsternis zwischen den hohen Bäumen
Damals hatte sie absolutes Vertrauen zu ihm. Damals fing ihre Geschichte an. Er hielt Ilkas Hand und wusste, dass es nie ein anderes Mädchen für ihn geben würde.
Daran sollte er sich erinnern, wenn er aufbrauste wie eben. Es war nicht ihre Schuld. Es war die Schuld der andern. Sie hatten sie gegen ihn aufgehetzt. Und dann war dieser Junge dahergekommen und hatte ihr den Kopf verdreht.
Ilka war so leicht zu beeindrucken. Vielleicht spielte er Gitarre. Oder Klavier. Oder er schrieb Gedichte. Ilka bewunderte Begabung.
Wie oft hatte sie ihm beim Malen zugeschaut. Stundenlang hatte sie ihm Modell gestanden. Sie hatte ihn angebetet für sein Talent.
Ruben beschloss umzukehren. Er konnte die Hand vor den Augen nicht erkennen. Vorsichtig setzte er Schritt vor Schritt. Die Kälte drang durch seine dicke Jacke und ließ ihn frösteln. Er hätte sich beherrschen sollen. Noch nie hatte er eine Frau geschlagen. Er fühlte sich erbärmlich. Und schrecklich allein.
Die letzten drei Jahre waren so turbulent gewesen, dass sie seine Einsamkeit manchmal übertönt hatten. Er hatte sich in der Szene durchgesetzt. Die Galeristen hatten sich die Klinke in die Hand gegeben, und er hatte aussuchen können, wem er seine Bilder anvertraute. Zu jeder wichtigen Party war er eingeladen worden. Die Leute hatten sich mit seiner Anwesenheit geschmückt. Eigentlich hatte eine Party erst mit seiner Ankunft richtig begonnen.
Seine Bilder hatten immer höhere Preise erzielt. Er war reich geworden. Erst der Erfolg hatte ihm ermöglicht, den Plan zu verwirklichen, den er schon lange im Kopf trug.
Und jetzt, wo er alles geschafft hatte, war Ilka ihm ferner denn je.
Ruben verließ den Wald, setzte sich in seinen Wagen und fuhr nach Hause. Morgen war ein neuer Tag. Er würde Ilka um Verzeihung bitten. Noch war nichts verloren. Er musste nur Geduld haben. Und warten.
Es war fast Mitternacht, als wir endlich Mikes Schritte auf der Treppe hörten. Wir liefen beide zur Tür und machten ihm auf, bevor er den Schlüssel ins Schloss stecken konnte.
»Bist du wahnsinnig, Mann? Weißt du eigentlich, was wir deinetwegen durchge¦«
Merle verstummte. Mike stand da und war doch ganz woanders. Alles Blut schien ihm aus dem Gesicht gewichen zu sein. Die Haut schien sich fester über die Knochen zu spannen.
»Lass ihn doch erst mal reinkommen.«
Ich nahm Mikes Hand und zog ihn in den Flur. Er ließ es geschehen. Die Arme hingen ihm schlaff am Körper herab. Wenn man ihn angetippt hätte, wäre er wahrscheinlich umgefallen und liegen geblieben.
Merle schloss die Tür. »Gib mir mal deine Jacke«, sagte sie. Ihre Stimme klang rau. So sprach sie mit den traumatisierten Tieren, die wir wieder hochpäppelten, nachdem sie monatelang in einem Versuchslabor gequält worden waren.
Mike zippelte den Reißverschluss auf. Er brauchte dazu drei Anläufe. Dabei war er nicht betrunken. Er war stocknüchtern. Dann ließ er die Jacke von den Schultern gleiten. Merle fing sie auf und hängte sie an die Garderobe.
Ich führte Mike in die Küche und drückte ihn aufs Sofa. Seine Hände waren blau gefroren. Er rieb sie vorsichtig. Was er jetzt brauchte, war ein guter, starker Earl Grey.
»Ich bin ein Schwein«, sagte er.
»Klar bist du das.« Merle hatte eine Decke geholt und wickelte sie ihm um die Beine. »Aber jetzt bleibst du erst mal hier sitzen und ruhst dich aus. Jette macht dir einen Tee, und wenn du dich aufgewärmt hast, erzählst du uns, warum du ein Schwein bist.«
Mike legte die Hände auf den Schoß, die Handflächen nach oben. Er sah aus wie ein alter Mann mit einem viel zu jungen Gesicht. Sein Blick irrte hin und her, als könnte er sich nicht entscheiden, wo er sich niederlassen sollte. Schließlich blieb er auf die Katzen gerichtet, die sich mit hartnäckigem Maunzen einen Mitternachtshappen erbettelt hatten und ihn nun verputzten.
»Ich hab ihr gedroht«, sagte Mike. »Wie ein hundsgemeiner Verbrecher.«
»Wem?« Ich hatte mich neben ihn gesetzt, um zu warten, bis das Wasser kochte.
»Lara Engler.« Er sah mich an, als wäre er über meine Anwesenheit überrascht. Oder über sich selbst. »Ilkas Therapeutin.«
»Du warst
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