Der Maedchenmaler
sich. Es wurde still.
Die Putzfrauen kamen und brachten andere Geräusche mit, die ihn jedoch nicht störten. Er verließ sein Büro für einen kurzen Augenblick, damit sie rasch ihre Arbeit tun konnten. Je schneller sie fertig waren, desto besser.
Wenn es schließlich überhaupt keine Ablenkung mehr gab, schaltete er die Deckenbeleuchtung aus und knipste die Tischlampe an. Die Konzentration des Lichts auf einen Punkt in der Dunkelheit hatte einen wohltuenden Einfluss auf seine Gedanken.
Noch war es nicht so weit. Bert hörte Schritte auf dem Flur, Stimmen, jemand lachte laut. Aber das war ihm egal. Er hatte sich vorgenommen, seine Notizen im Fall Ilka Helmbach, denn ein Fall war es jetzt geworden, zu überdenken und seine Eindrücke zu ordnen. Damit würde er eine Weile beschäftigt sein.
Er hatte Margot angerufen und ihr gesagt, dass es spät werden würde.
»Okay«, hatte sie nur geantwortet. »Dann brauchen wir mit dem Essen ja nicht auf dich zu warten.«
Ihr kühles Desinteresse hatte Bert verblüfft. Er war daran gewöhnt, dass sie sich beklagte, ihm Vorwürfe machte und ihn beschimpfte. Nach zwölf Jahren Ehe überraschte sie ihn noch immer. Er konnte sich ihrer nie sicher sein. Was würde er empfinden, wenn sie einen Geliebten hätte?
Bert stand auf. Er brauchte einen Kaffee. Seit er nicht mehr rauchte, hatte sein Kaffeekonsum alarmierende Dimensionen angenommen. Im Grunde hatte er die Abhängigkeit vom Nikotin lediglich gegen die Abhängigkeit vom Koffein eingetauscht.
So ist das eben bei Süchtigen, dachte er und zog die Schreibtischschublade auf, in der er einen Vorrat an Fünfzigcentmünzen aufbewahrte. Im Grunde war er glimpflich davongekommen. Ebenso gut hätte er irgendwann in seinem Leben zum Trinker werden können oder zum Fixer.
Dass er das Rauchen aufgegeben hatte, verdankte er seinem Arzt, Tennispartner und besten Freund Nathan. Allerdings auch die Tatsache, dass er jetzt ein paar Kilo Übergewicht mit sich herumschleppte. Was war nun schädlicher?
Nathan hielt nichts von solchen Überlegungen. »Du bereitest doch bloß deinen Rückfall vor«, hatte er neulich gesagt. »Da ist dir jedes Argument recht und sei es noch so fadenscheinig.«
Tatsächlich wurde Bert immer wieder von der Lust auf eine Zigarette gepackt. Diese Attacken dauerten nur wenige Sekunden, aber sie trieben ihm den Schweiß auf die Stirn.
Er ging über den Flur, warf eine Münze in den Kaffeeautomaten und traf seine Wahl. Der Kaffee schmeckte ausgesprochen gut. Sogar Cappuccino und Milchkaffee waren genießbar. Mit einem Klacken fiel ein brauner Plastikbecher heraus, dann lief frisch, heiß und duftend der Kaffee ein.
Es war ruhig geworden. Jeden Moment würden die Putzfrauen kommen. Ihr Kampf gegen den Schmutz unterschied sich nicht wesentlich vom Kampf gegen das Verbrechen. Man fing immer wieder von vorn an und schaffte es nie, zu gewinnen.
Bert trug den Kaffee in sein Büro. Er schlug sein Notizbuch auf und sortierte seine Erinnerungen.
Ilkas Zimmer war überraschend ordentlich gewesen.
»Hat sie gerade aufgeräumt?«, hatte er ihre Tante gefragt.
»Nein.« Sie hatte liebevoll gelächelt. »Hier sieht es immer so aus.«
Bert wusste, dass Menschen manchmal Ordnung schafften, um das Chaos in sich selbst zu verdrängen. Und manchmal behielt das Chaos dennoch die Oberhand und die Menschen gerieten in Panik und taten die merkwürdigsten Dinge. Schlugen die Wohnungseinrichtung kurz und klein. Kündigten ihren Job. Reichten die Scheidung ein.
Ordnungsliebend
, hatte er notiert.
Auf der Fensterbank standen zwei Pflanzen, ein Efeu mit weiß gezackten Blättern und ein rot blühender Hibiskus. Im Efeu saß ein kleiner Frosch aus Ton.
»Ilka liebt Frösche«, sagte Marei Täschner, die seinem Blick gefolgt war. »Im Sommer hockt sie stundenlang am Teich, um sie zu beobachten. Sie findet sie faszinierend. Manchmal denke ich, sie hätte ein Händchen für die Biologie.«
Ein Händchen für die Biologie. Seltsam, das so auszudrücken. Und hatte ihre Stimme nicht mit einem Mal einen klagenden Unterton angenommen?
Mag Frösche
, notierte Bert.
Naturkundlich interessiert
.
Am Fenster in Ilkas Zimmer hingen unterschiedlich geschliffene Glaskristalle, die sich leise im Strom der aufsteigenden Heizungsluft drehten. Neben den Blumentöpfen lagen Steine, hauptsächlich Flusskiesel, rundgeschliffen, schwarz und weiß. Dazwischen standen bunte Gläser mit Kerzen. Am Fensterrahmen lehnten zwei
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