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Der Maedchensammler

Der Maedchensammler

Titel: Der Maedchensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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ihr ein Gedanke. »Und ich glaube auch nicht, dass sie für Sie nicht mehr ist als das. Sie haben ein Vermögen für die Büste ausgegeben, die Sie diesem Sammler abgekauft haben. Aus welchem Grund?«
    »Es ist ein erlesenes Kunstwerk.« Er schwieg einen Moment.
    »Und vielleicht fasziniert mich ihre Persönlichkeit ebenso wie ihr Körper. Sie war über das profane Leben erhaben.«
    »Warum zum Teufel haben Sie das nicht gleich gesagt?«
    »Sie sollten nicht merken, dass ich sensibel bin. Das hätte doch mein Image ruiniert.«
    Sie schnaubte verächtlich. »Ich glaube kaum, dass Sie sich wegen Ihres Image –«
    »Hier endet der Via-Spagnola-Tunnel und mündet in das Tunnelsystem rund um das Theater«, unterbrach er sie. »Ab hier wird es wegen der elektrischen Beleuchtung ein wenig heller, aber es ist immer noch ziemlich schummrig. Ich lasse die Taschenlampe lieber an. Diese Tunnel sind das reine Labyrinth, aber anders gelangt man nicht in das Theater, denn es ist noch nicht ausgegraben.«
    »Warum nicht?«
    »Geldmangel. Probleme. Interessenkonflikte. In letzter Zeit scheint sich wieder etwas zu tun. Aber es ist ein unglaublicher Aufwand, denn Teile des Theaters liegen unter einer mehr als zwanzig Meter dicken Schicht Vulkangestein begraben. Es ist eine Schande, denn das Theater ist ein Juwel. Zweieinhalb- bis dreitausend Zuschauer hatten darin Platz, und es gab alles, wovon man nur träumen konnte. Bronzene Trommeln, um Donnergrollen zu erzeugen, Kräne, um die Götter über die Bühne fliegen zu lassen, die Leute saßen auf Kissen, man servierte den Gästen Süßigkeiten und Nüsse und besprenkelte sie mit Safranwasser. Unglaublich.«
    »Und aufregend. Das muss den Leuten wie Zauberei vorgekommen sein.«
    »Gutes Theater ist auch heute noch wie Zauberei.«
    »Und das haben Sie alles von diesem Zeitungsjournalisten erfahren?«
    »Nein, ich habe auch selbst ein bisschen recherchiert. Sie wollten Informationen, und ich würde es nie wagen, mich Ihren Befehlen zu widersetzen.«
    »Was für ein Blödsinn. Das hat Sie doch selbst genauso interessiert.«
    »Touché.«
    »Erstaunlich, dass das Theater nicht durch die Lava zerstört wurde.«
    »Das gehört zu den rätselhaften Dingen, die an jenem Tag passiert sind. Der Lavastrom hat so viel Schlamm vor sich hergeschoben, dass das ganze Gebäude davon eingeschlossen und geschützt wurde. Wäre nicht die Gier der Kunsträuber gewesen, hätten die Archäologen es wahrscheinlich vollkommen intakt vorgefunden. König Ferdinand hat irgendwann unbezahlbare Bronzefragmente einschmelzen lassen, um Kerzenhalter daraus machen zu lassen.«
    »Ich dachte, Sie hätten nichts übrig für den Erhalt von antiken Kunstgegenständen.«
    »Ich habe Respekt vor den Gegenständen selbst. Und ich verabscheue Dummheit und Zerstörungswut.«
    »Könnte es sein, dass Cira sich im Theater aufgehalten hat, als der Vulkan ausbrach?«
    »Ja, man nimmt an, dass die Schauspieler gerade für eine Nachmittagsvorstellung probten.«
    »Für welches Stück?«
    »Das weiß niemand. Aber vielleicht finden die Archäologen es ja noch heraus.«
    »Und vielleicht finden sie auch Ciras Überreste.«
    »Das Märchen, das sich bewahrheitet? Durchaus möglich. Wer weiß? Die Archäologen entdecken ja immer wieder was Neues.«
    »Neue Dinge aus einer toten Welt. Aber irgendwie kommt einem diese Welt gar nicht tot vor, stimmt’s? Auf der Fahrt vom Flughafen in Neapel hierher habe ich gedacht, wenn man die Augen schließt, kann man sich beinahe vorstellen, wie das Leben hier vor dem Vulkanausbruch ausgesehen hat. Wie mögen die Menschen wohl jenen Tag erlebt haben …«
    »Das habe ich mich auch gefragt. Wollen Sie es wissen?«
    »Noch mehr Ergebnisse Ihrer Recherchen?«
    »Mit Recherchen hat es angefangen, aber es ist schwer, einen rein wissenschaftlichen Blickwinkel beizubehalten, wenn man so dicht an der Quelle ist.« In dem Halbdunkel konnte sie sein Gesicht kaum erkennen, nur seine leise Stimme hören. »Es war ein ganz normaler Tag, es herrschte sonniges Wetter. Die Erde hatte ein paarmal leicht gebebt, aber nicht besorgniserregend. Im Vesuv rumorte es damals ständig. Die Brunnen im ganzen Land waren ausgetrocknet, aber es war August, also ziemlich normal.
    Es war ein heißer Tag, doch hier in Herkulaneum war es etwas kühler, weil die Stadt an einem Kap am Meer liegt. Der Kaiser hatte Geburtstag, und viele Menschen strömten in die Stadt, um die Feierlichkeiten mitzuerleben. Im Forum wimmelte es nur so von

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