Der Maedchensammler
darauf angesprochen hatte. Im ersten Moment hatte sie alles geleugnet, aber jetzt war sie sich gar nicht mehr so sicher, ob sie nicht doch versucht hatte, Joe zu manipulieren. Und zu was für einem Menschen machte sie das?
Toby legte ihr winselnd die Pfote aufs Knie.
Sie bückte sich und streichelte ihm den Kopf. »Alles in Ordnung, mein Junge.«
Er spürte ihre Verwirrung und versuchte, sie zu trösten. Und sie brauchte Trost. Lügen und Täuschung waren ihr zuwider, und in letzter Zeit hatte sie sich beider Strategien bedient.
Gott, und es war ihr so leicht gefallen …
Am besten sollte sie wohl akzeptieren, dass sie nicht perfekt war, sondern die Fähigkeit besaß, andere Menschen zu manipulieren. Sie sollte auf der Hut sein. Wie sie sich verhielt, lag allein an ihr, und sie durfte Eve oder Joe niemals verletzen.
Der Gedanke, dass ihr noch nicht einmal bewusst gewesen war, was sie getan hatte, machte ihr Angst.
Das würde nicht wieder passieren.
Sie verfluchte Aldo dafür, dass er sie in diese Situation gebracht hatte. Er war schuld, dass sie sich eingestehen musste, eine Manipuliererin zu sein, die selbst die Menschen, die sie liebte, dazu brachte, nach ihren Wünschen zu handeln.
Annapolis, Maryland
Die Kneipe war brechend voll, und das war gut so. Es reduzierte die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand an einen Mann erinnern würde, der allein am Tresen gesessen hatte. Er hatte darauf geachtet, dass sein Gesicht und seine Kleidung möglichst unauffällig waren, aber das Wichtigste war immer, mit der Menge zu verschmelzen.
Aber mit einer Menge zu verschmelzen, die hauptsächlich aus in Annapolis stationierten Kadetten bestand, war gar nicht so einfach, dachte Aldo. Er musste aufpassen, dass niemand bemerkte, wie er die junge Frau beobachtete, die im hinteren Teil des Raums Darts spielte. Andererseits konnte man kaum umhin, sie zu beobachten, denn sie tat schließlich alles, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. In ihrer Kadettenuniform und mit ihrem Kurzhaarschnitt wirkte Carrie Brockman sowohl männlich als auch laut. Sie lachte, pfiff durch die Zähne, zog die anderen Spieler auf. Laut, großmäulig, extrovertiert.
Nicht wie Cira, die die Aufmerksamkeit aller erregte, wenn sie nur wortlos einen Raum betrat.
Es erschien ihm beinahe wie ein Sakrileg, dass diese Frau eine gewisse Ähnlichkeit mit Cira besaß, wenn auch nichts von ihrer Ausstrahlung.
Nicht wie Jane MacGuire.
Er durfte jetzt nicht an Jane MacGuire denken. Er durfte sie nicht mit dieser Frau vergleichen, sonst würde er nicht in der Lage sein zu tun, was getan werden musste. Die Sache mit der Frau in Richmond war ihm wie Betrug vorgekommen, und das durfte nicht wieder passieren.
»Noch ein Drink?«
Es war der Barkeeper.
»Ja, bitte.« Er verzog das Gesicht. »Anders kann ich diese jungen Leute nicht ertragen. Jedes Mal, wenn ich herkomme, um meinen Sohn zu besuchen, fühle ich mich hundert Jahre alt, wenn ich wieder nach Hause fahre. Wie halten Sie das aus?«
Der Barkeeper lachte. »Ach, die Jugend.« Er stellte Aldo noch einen Bourbon hin. »Es ist nicht fair, nicht wahr?«
Dann wandte er sich ab und ging zu dem Kadetten hinüber, der ihn am Ende des Tresens zu sich winkte.
Aber die Jugend musste sich nicht so grob aufführen. Sie konnte auch Grazie und Leidenschaft und Eleganz ausstrahlen.
Wie Cira.
Er zuckte zusammen, als er Carrie Brockman schrill lachen hörte. Das war ihm nur recht so.
Ja, er wollte den Widerwillen spüren. Umso größer würde seine Genugtuung sein, wenn er sie tötete.
Richmond, Virginia 4:43 Uhr
Der Anruf riss Joe aus dem Tiefschlaf.
»Du hast gesagt, du wolltest sofort informiert werden, falls irgendwas reinkommt«, sagte Christy. »Ein weiblicher Kadett wurde vor drei Stunden an einer Raststätte außerhalb von Baltimore gefunden. Es wurde kein Versuch unternommen, ihre Identität zu verschleiern, außer dass der Täter ihr das Gesicht abgezogen hat. Mit Hilfe ihrer Fingerabdrücke wurde sie als Carrie Ann Brockman identifiziert. Achtundzwanzig Jahre alt, als Kadett in Annapolis stationiert.«
»Mist.«
»Er wird immer dreister. Die Frau war, als man sie fand, nicht länger als acht Stunden tot, und er hat nicht versucht, die Leiche im Gebüsch an der Raststätte zu verstecken. Er hat sie einfach abgeladen, seine Asche daneben gestreut und ist abgehauen.
Über alle Maßen arrogant. Will der sich über uns lustig machen?«
»Möglich.«
»Wenn er so unvorsichtig ist, wirst du bald
Weitere Kostenlose Bücher