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Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Der männliche Makel: Roman (German Edition)

Titel: Der männliche Makel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Carroll
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Redaktion nehmen und sie mitten in meinem Büro in einen Laufstall setzen, in der Hoffnung, dass sie niemand bemerkt? Klar, tolle Idee. Wenn ich so etwas auch nur im Traum in Erwägung ziehen sollte, könnte ich mir genauso gut gleich eine Leuchtreklame um den Hals hängen, auf der Bin total durchgedreht. Bitte schmeißt mich raus! steht. Seth Coleman würde sich die Hände reiben.
    Je länger ich über das Problem nachgrüble, desto trockener wird mein Mund, und obwohl ich verzweifelt versuche, mir nichts anmerken zu lassen, spüre ich, wie sich auf meiner Stirn kleine Schweißperlen bilden und wie mein Herz vor Angst schneller schlägt. Also öffne ich eine Wasserflasche und konzentriere mich aufs Ein- und Ausatmen. Ich muss am Ball bleiben. Niemand in diesem Raum darf je erfahren, dass ich gerade eine Panikattacke habe. Aber sosehr ich mich auch bemühe, läuft in meinem Kopf immer wieder derselbe schreckliche Gedanke ab wie auf Endlosschleife. Es gibt kein Entrinnen.
    Alle verfügbaren Kindermädchen sind absolut inakzeptabel. Ich stecke in der größten Krise seit Lilys Geburt. Da ist niemand, ich wiederhole, niemand, der mir hilft. Was zum Teufel soll ich jetzt nur machen?
    Heute Vormittag hat Rachel, meine leidgeprüfte Assistentin, die wenigen Kinderbetreuungsagenturen abgeklappert, bei denen ich noch nicht auf der schwarzen Liste stehe, und ganze vier Bewerberinnen aufgetrieben. Ja, richtig gehört, vier. Mitten in der Wirtschaftskrise und bei ständig steigenden Arbeitslosenzahlen.
    Und hier sitze ich, bereit und willens, ein Topgehalt plus Bestechungsgeld an jede Frau zu zahlen, damit sie ein knapp dreijähriges Kind betreut und in ein modern ausgestattetes Haus in Rathgar mit eigenem Zimmer und Bad zieht. Das ist doch nicht zu viel verlangt. Dazu muss man doch weder Nobelpreisträgerin noch in der Lage sein, einen multinationalen Konzern zu leiten. Ich suche doch nur eine vernünftige, verantwortungsbewusste Frau, die dafür sorgt, dass ein kleines Mädchen sein Gemüse aufisst, pünktlich in den Kindergarten kommt und brav sein Mittagsschläfchen hält, und es außerdem von Kinderserien im Fernsehen fernhält … und dennoch kann ich niemanden finden, der die Stelle haben will?
    Es ist nicht zu fassen. Heute habe ich insgesamt drei Vorstellungsgespräche geführt, und jedes einzelne davon war die totale Katastrophe. Also führt kein Weg daran vorbei: Wenn Elka sich Ende der Woche verdrückt, habe ich niemanden, der Lily betreut. Niemanden. Niemanden. Und glauben Sie mir, ich habe alles getan. Ich habe sogar meinen Stolz heruntergeschluckt, Elka angerufen und ihr das doppelte Gehalt und mehr Freizeit geboten, wenn sie es sich nur anders überlegt. Aber nichts da. Sie hat eben genug und will gehen, so einfach ist das. In meiner Verzweiflung habe ich mir sogar überlegt, meine Schwester Helen anzurufen, doch ich weiß, dass ich mir die Mühe sparen kann. Da läuft nichts.
    Wenn ich gnadenlos ehrlich mit mir bin, muss ich zugeben, dass wir beide nur sehr wenig gemeinsam haben und einander nie sehr nahestanden. Folglich ist sie nicht der Mensch, an den ich mich in der Stunde der Not wenden kann. Außerdem hat Helen nach Lilys Geburt einen Typen namens Darren kennengelernt, der in Cobh eine kleine Pension am Meer betreibt. In erschreckend kurzer Zeit hat sie ihre Zelte abgebrochen und verkündet, sie werde aufs Land ziehen und mit ihm zusammenarbeiten. Für ihn hat sie alles aufgegeben. Ihren Job, ihre Wohnung, alles. Doch so ist meine Schwester eben. In meinen Augen war sie in Sachen Männer schon immer von Torschlusspanik getrieben, und nun muss sie sich mit den Folgen abfinden … in Cobh, viele Kilometer weit weg von ihren alten Freunden und ihrem früheren Leben.
    Der absolute Irrwitz, das war mein erster Gedanke damals wie heute. Obwohl ich Darren nur wenige Male an Weihnachten oder anlässlich ihrer seltenen Besuche bei mir getroffen habe, frage ich mich, ob Helen in einem dreihundert Kilometer entfernten, winzigen abgelegenen Dorf wirklich glücklich mit ihm ist. Allerdings ist es schwierig, einander auf dem Laufenden zu halten, und abgesehen von den gelegentlichen Anrufen (»Hallo, schön von dir zu hören, aber kann ich dich zurückrufen, ich habe gleich eine Sitzung?«) haben wir seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen.
    Und nein, ich war mit Lily noch nie in Cobh zu Besuch, sosehr die Kleine auch bettelt und ihre Tante vergöttert. Schließlich kann ich die Redaktion nicht im Stich lassen.

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