Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Hin und wieder schickt Helen mir eine Mail, in der sie entweder ein wenig über Darren jammert oder mich unverblümt um ein Darlehen bittet. Anscheinend ist die Hotellerie von der Wirtschaftskrise noch härter betroffen als wir anderen. Ich tue ihr stets den Gefallen und schicke ihr einen Scheck, ohne das Geld zurückzuverlangen. Sie nimmt dankend an und mailt dann fröhlich und vergnügt, Lily und ich könnten doch auf Kosten des Hauses ein Wochenende bei ihr verbringen, wann immer wir wollen. Das ist ein netter Vorschlag, und ich weiß das Angebot auch zu schätzen, aber ich bitte Sie … Ein ganzes Wochenende freinehmen? Samstag und Sonntag? Am Stück? Das soll wohl ein Scherz sein?
Außerdem weiß ich, dass sie in ihrer Pension in Arbeit versinkt. Also hat sie sicher genug um die Ohren, weshalb ich ihr nicht auch noch Lily aufhalsen kann. Hinzu kommt, dass ich mein kleines Mädchen dann gar nicht mehr zu Gesicht bekommen würde. Und offen gestanden ist der kurze Blick auf ihr schlafendes Köpfchen morgens und abends das Einzige, was mich die tägliche Tretmühle bei einigermaßen intakter geistiger Gesundheit überstehen lässt. Sie gibt mir den Antrieb, der den Rest ein wenig erträglicher macht.
Also zurück zu dem Problem, was zu tun ist, wenn Elka Ende der Woche verschwindet. Ich werde untergehen. Und zwar sehr schnell.
»Barack Obamas Kampf um eine zweite Amtszeit muss einfach morgen auf die Titelseite, Eloise«, dröhnt Robbie Turners Stimme und reißt mich damit aus meinen grüblerischen Gedanken. Robbie ist der kettenrauchende, ständig heisere Auslandspolitikchef der Post , ein sympathischer Mensch, noch recht jung, aber aus unerfindlichen Gründen nicht von jugendlichem Äußeren. Tag und Nacht drückt er sich im Büro herum und hat so verschwollene Augen wie wir anderen auch. Allerdings erfordert der Zeitunterschied, dem man bei Berichten zu außenpolitischen Themen Rechnung tragen muss, dass er beinahe genauso aberwitzige Arbeitszeiten hat wie ich. Wenn ich die Stellung halte, bis um elf der Schlussredakteur übernimmt, kann ich meistens noch einen Blick auf Robbies dichten weißen Haarschopf und seine John-Lennon-Brille erhaschen, da er gerade am Schreibtisch sitzt und den ersten Entwurf einer Meldung über ein Ereignis im Nahen Osten verfasst, während der Rest der westlichen Welt friedlich schläft.
Deshalb weiß ich, dass Robbie nur selten Zeit für seine junge und wachsende Familie hat, ein Umstand, über den er sich anerkennenswerterweise nie beklagt. Auch wenn ich es mir nicht anmerken lasse, schätze ich ihn wirklich, wie ich dem Vorstand auch schon des Öfteren mitgeteilt habe. Robbie ist ein Mensch, der beständig gute Arbeit leistet und bei fast allen beliebt ist.
Der einzige Wermutstropfen bei diesen Sitzungen besteht darin, dass sich hier deutlich Robbies einzige Schwäche zeigt: Er vergöttert Barack Obama derart, dass es schon beinahe krankhaft ist. In der Redaktion wird bereits gewitzelt, er sei ein wenig in ihn verliebt. Das ist kein Scherz. Beim Essen, Trinken, Schlafen und Atmen denkt er nur an Barack Obama, und der bisherige Höhepunkt seines Lebens bestand darin, seinem Helden anlässlich dessen Besuchs in Irland die Hand schütteln zu dürfen. Gut, es befanden sich etwa vierhundert andere Leute im Raum, aber Robbie hat es trotzdem geschafft, sich an den Bodyguards vorbeizuschummeln und den Kleidersaum des Erwählten zu berühren. Dennoch hat er es dargestellt, als wäre es eine Privataudienz gewesen, in deren Rahmen die beiden unter vier Augen bei einem Tässchen Tee und Plätzchen seine Wahlkampfstrategie erörtert hätten. Im letzten Jahr hat er sogar das Foto, das diesen denkwürdigen Augenblick darstellte, als Weihnachtskarte drucken lassen.
»Eloise, hör mir zu«, beharrt Robbie. Sein Gesicht rötet sich, als er versucht, sich trotz des Radaus Gehör zu verschaffen. »Die Story ist zu wichtig, um sie auf Seite drei zwischen den Weltnachrichten zu verstecken, zum Beispiel neben einem Bericht über David Camerons Besuch in einem Krankenhaus für Landminenopfer in Angola wie gestern«, überschreit er das Tohuwabohu im Raum. »Die Vorwahlen stehen vor der Tür, weshalb es allmählich Zeit wird, es auf der Titelseite zu bringen! Darf ich dich daran erinnern, dass jede amerikanische Zeitung inzwischen täglich damit titelt, und das schon seit Wochen? Warum hinken wir hinter der amerikanischen Berichterstattung her? Wir müssen am Ball bleiben!«
Robbie mag nervig und
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