Der männliche Makel: Roman (German Edition)
ausgeschlossen ist. Ich werde nicht dulden, dass irgendein Fremder sich entweder in ihr Leben drängt oder sie enttäuscht, indem er nichts mit ihr zu tun haben will. Dazu wäre er nämlich berechtigt.«
Im nächsten Moment fällt mir noch etwas ein.
»Es könnte auch noch schlimmer kommen«, füge ich hinzu, richte mich auf und fixiere sie mit Blicken. »Was, wenn er sie liebt und vergöttert und beschließt, dass er eine Rolle in ihrem Leben spielen will? Was dann? Denn eines sage ich dir jetzt schon. Ich habe nicht so hart gearbeitet und es so weit gebracht, um das Sorgerecht für meine kleine Tochter mit jemandem teilen und jede Entscheidung absprechen zu müssen. Ich habe mich aus einer Reihe von triftigen Gründen für ein Leben als alleinerziehende Mutter entschieden …«
»Eloise.« Helen lächelt mich so nachsichtig an, als stünde sie hinter einer Servicetheke und müsste eine durchgedrehte Kundin beruhigen. »Keine Angst, die ganze Welt weiß, wie ungern du die Kontrolle abgibst …«
»Moment mal«, stammle ich. Inzwischen kann ich vor lauter Erschöpfung kaum noch geradeaus schauen. »Stempel mich nicht als kontrollsüchtig ab, nur weil ich mein Baby schützen will …«
»Du verstehst einfach nicht, was Sache ist«, erwidert Helen ruhig und vernünftig. »Sie ist nämlich kein Baby mehr, sondern ein kleines Mädchen. Alle Kinder wollen normal sein. So wie die anderen. Wenn du es nicht für dich tust, dann wenigstens Lily zuliebe. Sorg dafür, dass sie das Wort Daddy mit einem Gesicht verbinden kann, und lass es dann auf sich beruhen. Sie ist in der Lage zu verstehen, dass du nicht mit ihrem Daddy zusammen bist. Gib ihr einfach die Chance, dieses Problem für sich zu lösen. So kann sie, wenn die anderen Kinder auf dem Spielplatz sie das nächste Mal nach ihrem Vater fragen, wahrheitsgemäß antworten, wo er ist und wie sie ihn findet. Jetzt kennt sie weder ihn noch seinen Namen. Das Geheimnisvolle ist es, warum sie so besessen von dem Thema ist.«
»Du übertreibst. Sie ist nicht besessen.«
»Ach ja? Ist dir klar, dass jedes Bild, das sie mit ihren neuen Buntstiften gemalt hat, ihren Dad darstellt? Und als wir heute mit dem Bus in den Park gefahren sind, ist sie nach vorne gegangen und hat den Fahrer gefragt, ob er ihr Dad ist. Dasselbe hat sie bei dem Kassierer im Supermarkt gemacht. Seit sie heute die DVD von Shrek gesehen hat, während ich ihr Abendessen gekocht habe, hat sie es sich in den Kopf gesetzt, dass ihr Vater König in einem weit entfernten Königreich ist.«
»Ach … das ist nur eine Phase. Das vergeht wieder.«
»Woher willst du das wissen?«
»Weil es bei Kindern immer so ist.«
»Nun, bei mir war es nicht so.«
Ich schrecke zusammen.
»Äh, Verzeihung, was hast du gerade gesagt?«
»Eloise, glaubst du im Ernst, dass ich nicht meine ganze Kindheit und auch mein Erwachsenenleben damit verbracht habe, mich zu fragen, wer meine leiblichen Eltern sind? Was für Menschen sie waren und woher sie kamen? Warum sie mich zur Adoption freigegeben haben? Denkst du wirklich, dass mich das nicht beschäftigt, seit ich mich erinnern kann?«
»Aber … du hast nie darüber geredet …«
Meine Stimme wird immer leiser und erstirbt schließlich. Denn der Gedanke steht unausgesprochen im Raum. Warum hätte Helen ausgerechnet mir davon erzählen sollen? Weshalb sollte sich überhaupt jemand die Mühe machen, mir Einzelheiten aus seinem Privatleben anzuvertrauen? Selbst wenn sie mich angerufen hätte, hätte sie vermutlich nur meinen Anrufbeantworter oder meine Assistentin erreicht, die ihr versprochen hätte, es mir auszurichten. Und – wie ich zu meiner Schande eingestehen muss – die Wahrscheinlichkeit eines Rückrufs von mir wäre sehr gering gewesen.
Ich muss zugeben, dass ich mich im Moment sehr, sehr jämmerlich fühle. Das ist etwas, das in letzter Zeit viel zu häufig geschieht und äußerst unangenehm ist.
»Weißt du«, fährt sie fort, hebt gedankenverloren eine von Lilys Plüschkatzen vom Fußboden auf und nestelt daran herum, »unsere Eltern waren so wunderbar zu mir, und ich habe sie beide so geliebt, dass ich mir fast undankbar vorkam, weil ich meine leiblichen Eltern kennenlernen wollte. Aber das verhindert nicht, dass man sich ständig Fragen stellt und später im Leben fest entschlossen ist, die Wahrheit über sie herauszufinden. Wer waren sie? Warum haben sie mich weggegeben? Und so weiter und so fort.«
»Aber, Helen«, sage ich, inzwischen ein wenig sanfter,
Weitere Kostenlose Bücher